Tel Aviv: Oft chaotisch, immer spannend
Seit anderthalb Jahren wohnt die Autorin in Tel Aviv, der Stadt, die sie so liebt und die sie immer wieder aufs Neue herausfordert. Sie ist für ihr Studium hergezogen und bleibt, weil sie hier ein Zuhause gefunden hat. Ein Erlebnisbericht.
Unsere Autorin in der Altstadt von Jaffa
Nein, ich bin nicht jüdisch. Die Frage nach meiner Religion ist meist die erste, die mir die Menschen hier stellen. Darauf folgt oft: „Warum willst du dann hier wohnen?!“ Über die Antwort denke ich selbst viel nach. Ich bin in einem kleinen Dorf in Nordrhein-Westfalen christlich aufgewachsen und habe nach meinem Abitur Geschichte und Jiddistik studiert. So bin ich zu Ivrit und letztlich nach Tel Aviv gekommen. Während des Studiums habe ich Kommilitonen kennengelernt, die entweder selbst jüdisch waren oder einen Bezug zu Israel hatten. Auch ich wollte das Land kennenlernen, von dem so viele schwärmten, und entschied mich dazu, einen Sprachkurs in Hebräisch an der Universität in Tel Aviv zu belegen. Wer weiß, vielleicht würde ich ja mal ein Auslandssemester dort machen wollen. Das Alef-Bet kannte ich ja schon durch Jiddisch, also meyle, warum also nicht auch Hebräisch? Im Sommer 2018 habe ich knapp zwei Monate in Tel Aviv verbracht und mich sehr schnell in die Stadt verliebt. Die Leichtigkeit, Spontanität und die Offenheit der Menschen haben mich fasziniert. Mein Sommer bestand vormittags aus Sprachkurs, nachmittags aus Strand und abends habe ich mit Freunden die Bars erkundet. Ich bin innerhalb eines Jahres noch zweimal zurück nach Tel Aviv gekommen. Für mich war klar, dass ich mehr Zeit in Israel verbringen wollte, um noch mehr Orte kennenzulernen. Als Nicht-Jüdin kam Aliyah allerdings nicht in Frage. Die Lösung war ein Studentenvisum, und ich entschied mich, hier mein Master-Studium zu machen.
Aller Anfang ist schwer
Die ersten Wochen nach meinem Umzug nach Israel im Herbst 2019 waren mit vielen Herausforderungen verbunden. In Tel Aviv zu leben ist anders, als dort nur Urlaub zu machen. Obwohl ich mich mittlerweile gut auf Hebräisch verständigen konnte, musste ich lernen mit der Direktheit der Israelis, ihrer Chutzpa, umzugehen. Dazu läuft Vieles hier in seinem eigenen Tempo ab, auch bürokratische Angelegenheiten. Ich finde, dass man die israelische Gesellschaft bei der Bank und im Supermarkt am besten kennenlernen kann. Derjenige, der sich am charmantesten vorzudrängeln weiß, wird zuerst bedient. Ein Beispiel: das Eröffnen meines Bankkontos hat mich mehrere Wochen gekostet, weil die Angestellten ständig vergaßen, meine Dokumente zu bearbeiten. Beschwert habe ich mich nicht, auch nicht als sie meinen Namen falsch auf die Kreditkarte schrieben und sie an die falsche Adresse schickten. Ich war zu Beginn schüchtern und schämte mich oft für mein nicht perfektes Hebräisch. Auch der Vermieter meiner ersten Wohnung hat davon profitiert. Die Wohnungssuche in Tel Aviv ist ein eigener Artikel wert, nur so viel sei gesagt: Man muss die eigenen Ansprüche runterschrauben, aber das Budget vergrößern. Mein kleines Studioapartment im angesagten Künstler-Stadtteil Florentin im Süden hatte weder Tageslicht noch eine richtige Tür zum Badezimmer, dafür aber eine Menge Schimmel und Ungeziefer. Zwei Mal haben sich sogar Tauben durch ein Loch in der Hauswand in meinen Küchenschrank verirrt. Meinen Vermieter hat all das wenig interessiert. Erst als im feuchten Winter der Schimmel samt Putz von der Decke rieselte, konnte ich ihn überzeugen, doch einmal vorbeizuschauen. Mehr schlecht als recht hat er dann das Nötigste geflickt und den Schimmel überstrichen. Natürlich hat das nicht lange gehalten. Daraus habe ich gelernt, dass man in Israel lauter und fordernder sein, um ans Ziel zu gelangen. Bei meiner zweiten Wohnung habe ich besser aufgepasst.
Harte Schale, weicher Kern
Auf der anderen Seite liebe ich die Warmherzigkeit und Aufgeschlossenheit, die sich oft unter der rauen Schale der Sabras versteckt. Nicht umsonst vergleicht man die israelische Art gerne mit einer Kaktusfeige, außen stachelig und innen herrlich süß. Israelis sind sehr gastfreundlich, Erev Shishi und Feiertage muss niemand alleine verbringen. Die direkte und herzliche Art findet man auch an der Uni wieder. Das Verhältnis zwischen Studenten und Professoren ist viel persönlicher als ich es aus Deutschland gewohnt bin. Nicht nur dass man Dozenten mit ihren Vornamen anredet, auch gemeinsame Whatsapp-Gruppen sind nichts Ungewöhnliches. Ich verbringe viel Zeit auf dem Uni-Campus, weil es dort eine Vielzahl an Aufenthaltsmöglichkeiten wie Büchereien, Cafés und Bänke im Freien unter Palmen gibt.
Mein Lieblingsort ist allerdings Jaffa, die ehemalige arabische Stadt, an deren Seite Tel Aviv vor 112 Jahren gegründet wurde. Hier schaue ich so oft es geht der Sonne dabei zu, wie sie in den kräftigsten Farben über dem Mittelmehr untergeht. Am liebsten gehe ich dazu in den Gan ha-Pisga, einen Park auf dem Hügel direkt neben der Saint George Kirche. Von dort aus kann man südlich die bräunlichen Sandsteingebäude Jaffas sehen, die Geschichten aus vergangenen Jahrhunderten erzählen. Nördlich liegen die Hochhäuser von Tel Aviv, die auf der Suche nach Fortschritt und Abenteuer in den Himmel ragen. Die Gassen der Altstadt Jaffas erinnern daran, dass Tel Aviv zwar eine moderne westliche Metropole ist, aber dennoch mitten im Nahen Osten liegt.
Der Sonnenuntergang in Jaffa im Gan haPisga mit Blick auf die Saint George Kirche
Ich komme gerne nach Jaffa, weil ich gerade Arabisch lerne und dort die Sprache hören kann. Jaffa ist einer der wenigen Orte in Israel, an denen Juden und Araber Seite an Seite leben. Aber auch hier sind im Zusammenhang mit den letzten Eskalationen Autos angezündet und Fensterscheiben eingeworfen worden. Mir persönlich macht die Gewalt innerhalb der israelischen Gesellschaft zwischen Juden und Arabern mehr Angst als die Raketenangriffe der Hamas. Tel Aviv ist wie eine Blase, in der man den Nahostkonflikt größtenteils ignorieren kann. Aber Ereignisse wie diese zeigen, dass auch das manchmal eine Illusion ist.
Dialog suchen um zu Verstehen
Für mich persönlich ist Tel Aviv ein Lebensgefühl. Ich fühle mich hier frei und gleichzeitig tief verwurzelt, weil das Heilige Land um mich herum eine so große emotionale Bedeutung für viele hat. Von Tel Aviv aus reise ich gerne nach Jerusalem, Haifa, Akko, Tiberias und ins Westjordanland. Die Wege sind kurz im kleinen Israel und mit Bus und Zug sind viele Städte innerhalb des Landes gut zu erreichen. Ich studiere Nahoststudien, weil ich den Konflikt verstehen möchte. Ich glaube, dass dies nur funktioniert, wenn man vor Ort Gespräche mit den Menschen sucht und möglichst viele Perspektiven hört. Mein Bekanntenkreis spiegelt eine bunte Palette aus Meinungen und Herkunftsgeschichten wider. Meine Freunde sind internationale Studenten, jüdische und arabische Israelis. Das ist der Vorteil von Tel Aviv: hier kommen alle zusammen, hier wird jeder akzeptiert.
Ich bin gespannt darauf, wie meine Reise in Israel weitergeht. Für mich steht fest, dass ich auch nach Ende meines Studiums bleiben möchte. Das Leben hier ist intensiv, aufregend und spontan. Man weiß nie, was als nächstes kommt. Das macht den Reiz aus.
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