Mendl‘s Bar Mitzwah

Von Daniel Sarfati

Von Mendl sagte man im Schtetl, er sei zurückgeblieben. Aus der Kindheit war er nie herausgewachsen, im Cheder, der Schule, belegte er seit Jahren immer noch denselben Platz, umgeben von Schülern, die alle viel jünger waren als er und sich über ihn lustig machten. Sie spotteten über seine zu kurzen Hosen, über seinen dümmlichen Gesichtsausdruck, über seine Unfähigkeit irgendetwas zu behalten. Trotz intensiver Mühe war es dem Melamed, dem Lehrer, nicht gelungen, ihm etwas beizubringen.

Um die Familie nicht zu beschämen, willigte Avrom, der Rebbe, zögernd ein, dass Mendl seine Bar Mitzwah machen dürfe, doch er stellte sich besorgt vor, wie der Junge sich an diesem Tage die vor ihm ausgebreiteten Thorarollen hilflos und stumm angrinste und sich vor der versammelten Gemeinde blamierte – denn Mendl konnte nicht einmal lesen.

Das Einzige, was er kannte, war das hebräische Alphabet, das Alef-Bet. Das kannte er gut und konnte es von Anfang bis Ende fehlerlos aufsagen:

Aleph, Bet, Gimmel, Daled, Hei, Waf...

Eines Tages, als Mendl alleine über die Felder nahe dem Schtetl spazierte, fing er plötzlich an, jeden einzelnen Buchstaben gen Himmel zu schreien, und es schien, als käme vom Himmel ein Echo zurück.

Aus voller Brust sagte er das Alef-Bet zum dritten Mal auf, als Avrom, der Rebbe, dazukam.

„Was schreist du so, Mendl?“, fragte er irritiert.

„Ich bereite meine Bar Mitzwah vor, Rebbe, wie du gesagt hast.“, antwortete der Junge verlegen.

„Aber nein, du Narr, du sagst doch nur das Alef-Bet auf!“, rief er verärgert.

Da schaute Mendl hinauf zum Himmel, so als wollte er Mut schöpfen und er, der Einfältige, der Ignorant, sprach, wie er es noch nie vermocht hatte:

„Das stimmt, Rebbe, ich weiß nicht, wie man betet, ich habe es nie lernen können, aber G-tt im Himmel kennt die Thora, ER kennt alle Gebete und vieles andere mehr. Ich schenke IHM alle Buchstaben, die ich kenne, damit ER SICH das Gebet zusammenstellt, das IHM am meisten Freude macht zu hören!“

Avrom, der Rebbe, nahm Mendls beide Hände in die seinen und sprach leise zu ihm:

„Gehen wir jetzt nach Hause, Mendl. Du hast Recht, und ich bin sicher, dass dir am Tage deiner Bar Mitzwah G-tt von der ersten Reihe aus zuhören wird.“

Aus dem Französischen liebevoll übersetzt von Yvonne Perle.

Sehr geehrte Leser!

Die alte Website unserer Zeitung mit allen alten Abos finden Sie hier:

alte Website der Zeitung.


Und hier können Sie:

unsere Zeitung abonnieren,
die aktuelle oder alte Ausgaben bestellen
sowie eine Probeausgabe bekommen

in der Druck- oder Onlineform

Unterstützen Sie die einzige unabhängige jüdische Zeitung in Deutschland mit Ihrer Spende!

Werbung


Jewish Matchmaking – Die NETFLIX-Show für eine Generation auf der Suche

Jewish Matchmaking – Die NETFLIX-Show für eine Generation auf der Suche

Rekordsumme für einen atemberaubenden Fund: Alte Hebräische Bibel für 35 Millionen Euro versteigert

Rekordsumme für einen atemberaubenden Fund: Alte Hebräische Bibel für 35 Millionen Euro versteigert

Erster jüdischer Verein in der DFB-Pokal-Hauptrunde: Historischer Sieg für Makkabi Berlin

Erster jüdischer Verein in der DFB-Pokal-Hauptrunde: Historischer Sieg für Makkabi Berlin

Veteranen des Israelischen Unabhängigkeitskrieges von 1948: Der Holocaust war keinesfalls der einzige Grund für ihren Kampf um den jüdischen Staat

Veteranen des Israelischen Unabhängigkeitskrieges von 1948: Der Holocaust war keinesfalls der einzige Grund für ihren Kampf um den jüdischen Staat

Israelischer Ex-Elitesoldat gründet Modelabel: Einnahmen gehen an Krebshilfe

Israelischer Ex-Elitesoldat gründet Modelabel: Einnahmen gehen an Krebshilfe

Immer mehr Israelis wollen sich bewaffnen – zur eigenen Sicherheit

Immer mehr Israelis wollen sich bewaffnen – zur eigenen Sicherheit

„Mit der Wahrheit den Verstand erleuchten”- Zum Tode von Sally Perel, der „Hitlerjunge Salomon”

„Mit der Wahrheit den Verstand erleuchten”- Zum Tode von Sally Perel, der „Hitlerjunge Salomon”

Ljudmila Ulizkaja : „Ich schreibe, seit ich schreiben gelernt habe“

Ljudmila Ulizkaja : „Ich schreibe, seit ich schreiben gelernt habe“

Michel Houellebecqs Buch „Vernichten“: Unerwartet leise Töne

Michel Houellebecqs Buch „Vernichten“: Unerwartet leise Töne

Die Schönheit von Chanukka in Me‘a Sche‘arim

Die Schönheit von Chanukka in Me‘a Sche‘arim

Gegen den linken anti-jüdischen Trend: Guatemala benennt Straßen und Plätze „zu Ehren Israels“ um

Gegen den linken anti-jüdischen Trend: Guatemala benennt Straßen und Plätze „zu Ehren Israels“ um

Rund 30 Städte und Gemeinden in Guatemala haben in den letzten drei Jahren Straßen nach Jerusalem benannt – mit einem besonderen Zusatz: Capital de Israel, Hauptstadt Israels. Ein Grund dafür sei der große Anteil evangelikaler und judenfreundlicher Christen im Land.

Wein aus Israel: Von der biblischen Tradition zum wettbewerbsfähigen Qualitätsprodukt

Wein aus Israel: Von der biblischen Tradition zum wettbewerbsfähigen Qualitätsprodukt

Lange war der Wein aus dem jüdischen Staat verkannt – doch nun findet er immer mehr Anerkennung

Alle Artikel
Diese Webseite verwendet Cookies, um bestimmte Funktionen zu ermöglichen und das Angebot zu verbessern. Indem Sie hier fortfahren, stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Mehr dazu..
Verstanden