Die Parteienlandschaft in der Türkei: Zwischen Nazis und Islamisten
„Volksallianz“: Dass die ohnehin weit rechts stehende AKP in einer Regierungskoalition mit der türkischen Nazi-Partei „Graue Wölfen“ zusammenarbeitet, ist in Deutschland nahezu unbekannt und wird auch von der deutschen Presse und Politik konsequent beschwiegen.
Sigmar Gabriel und sein Freund Cavusoglu© TOBIAS SCHAWARZ, AFP
Im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) im Februar 2020 traf der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) einen „guten Freund“, wie er in sozialen Netzwerken verkündete: Mevlüt Çavuşoğlu. Dieser ist Mitglied der AKP (Adalet ve Kalkınma Partisi/Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) und Außenminister der „Volksallianz“ genannten türkischen Regierungskoalition aus der nationalislamischen AKP, der faschistischen MHP (Milliyetçi Hareket Partisi/Partei der Nationalistischen Bewegung), auch als „Graue Wölfe“ bekannt, und der nicht minder nationalislamischen BBP (Büyük Birlik Partisi/Partei der großen Einheit).
Von der Leine an den Bosporus
Çavuşoğlu hält mit seiner Gesinnung nicht hinterm Berg. Gern und oft gibt er sich mittels entsprechender Handzeichen, dem sogenannten „Wolfsgruß“, dem Erkennungszeichen der „Grauen Wölfe“ und dem „Rabia-Zeichen“, dem Erkennungszeichen der Anhänger der Muslimbruderschaft, als Anhänger beider Bewegungen zu erkennen.
Bereits im Januar 2018 lud Gabriel Çavuşoğlu zu einer original türkischen Teezeremonie in sein Privathaus nach Goslar am Harz ein. Noch befremdlicher als diese Vertrautheit wirkt indes ein Foto von Sigmar Gabriel und Mevlüt Çavuşoğlu, das der Ex-Außenminister im Februar 2020 mit folgendem Statement postete:
„Auf der #MSC2020 wird nicht nur harte Politik diskutiert, sondern man trifft auch gute Freunde: @MevlutCavusoglu, türkischer Außenminister und @mustafaerkan_me.“
Der erwähnte Mustafa Erkan, ehemaliger hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, war SPD-Mitglied, großer Fan von Alt-Kanzler Gerard Schröder und Sigmar Gabriel, und von 2013 bis 2017 Abgeordneter im niedersächsischen Landtag. Als er für die Landtagswahlen 2017 nicht wieder als Kandidat aufgestellt wurde, wechselte er von der Leine an den Bosporus sowie von der SPD zur AKP und wurde Berater von Çavuşoğlu. Wie Beiträgen in sozialen Netzwerken zu entnehmen ist, standen die beiden Männer auch vorher schon in engem Kontakt. Mit anderen Worten: Ein Abgeordneter eines deutschen Parlaments stand offenbar in einer näheren Beziehung zum türkischen Außenminister, während die Regierung in Ankara den Rechtsstaat außer Kraft setze. 2018 war Erkan Kandidat der AKP bei der Wahl zum türkischen Parlament. Allerdings erfolglos.
Rechts, rechter, türkische Parteienlandschaft
Die bei diesen Parlamentswahlen 2018 gezählten Stimmen haben – trotz der Bemühungen der vorherigen alleinigen AKP-Regierung an jeder einzelnen Wahlurne – nicht gereicht, um Präsident Recep Tayyip Erdoǧan und seiner AKP die Alleinherrschaft zu ermöglichen. An willigen Koalitionspartnern mit gleicher Gesinnung mangelte es gleichwohl nicht. Schließlich ist das Parteienspektrum in der Türkei alles andere als Ausdruck von Meinungsvielfalt und Toleranz. Einig sind sich die großen, populären Parteien in ihrem Nationalismus, der Merkmal aller großer Parteien in der Türkei ist, von der kemalistischen, modernen CHP (Cumhuriyet Halk Partisi/Republikanische Volkspartei) über die nationalislamistische AKP bis hin zur nationalislamistisch-radikalen MHP und der BBP. Die größten Schnittmengen gibt es indes mit der MHP und der BBP, folglich war es kein langer Weg zum Koalitionsbündnis „Volksallianz“.
Die Kemalisten der CHP lehnen den Islam in seiner radikalen Version zwar ab, doch erweisen auch sie sich als rassistisch-nationalistisch. Ihre Version der Demokratie gilt eben nicht universell, sondern unter der Bedingung zum Wohle der türkischen Nation auf die eigene Identität zu verzichten. Wer diesem Unterwerfungsgesuch nicht nachkommt, wird zum Verräter. Kurden wie Armenier und Griechen spüren den Hass sehr deutlich. Sind doch die historischen Fragen in diesem Zusammenhang seit jeher als Lackmustest geeignet.
Den Vorwurf des radikalen National(islamis)mus ist auch den neuentstandenen Parteien zu machen. Die „Gute Partei“ ist ein Zusammenschluss von weniger religiösen Rechtsradikalen; ihre Führerin Meral Aksener wird jedoch bezeichnenderweise „Wölfin“ genannt.
Bei der Gründung der „Zukunftspartei“ des ehemaligen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu wurde zwar kommuniziert, erstmals alle Minderheiten der Türkei umarmen zu wollen. Doch er leugnet den Völkermord an den Armeniern und gegenüber Israel zeigt sich eine rassistische bzw. antisemitische Grundeinstellung. Jerusalem ist seiner Ansicht nach „eine Frage der Ehre und des Stolzes aller Muslime“ sowie die Hauptstadt „Palästinas“.
Graue Wölfe heulen auch in Deutschland
Die MHP geht zurück auf Alparslan Türkeş, einem bekennenden Rassisten, der seine türkisch-sunnitische Selbstüberhöhung in Kombination mit der Abwertung der Juden, Christen und anderen Minderheiten stets stolz präsentierte. Die Partei gilt als politischer Arm militanter Rechtsradikaler, genannt „Graue Wölfe“. Türkeş war zunächst Mitglied der CKMP (Cumhuriyetçi Köylü Millet Partisi/Republikanische Nationale Bauernpartei). Es gelang ihm, wichtige Parteigremien mit seinen Gefolgsleuten zu besetzen und schließlich zu übernehmen. 1969 wurde sie in MHP umbenannt.
In ihrem Buch „Die Grauen Wölfe heulen wieder – Türkische Faschisten und ihre Vernetzung in Deutschland“ schreiben die Autoren Fikret Aslan und Kemal Bozay:
„Auf dem Parteikongress vom 31. Juli 1965 benutzte Türkeş zum ersten Mal die Vokabeln Vatan (Vaterland) und Millet (Nation), die den neuen Nationalismus fortan prägten. Ebenso sprach er vom Pantürkismus und erklärte, dass ‚der Islam die Religion der türkischen Nation‘ sei. Türkeş ernannte sich zum Başbuǧ (Führer). Er gab seinen Gefolgsleuten die Anweisung, ‚jeden zu erschießen, der vom Weg abweicht‘. Hitlers Mein Kampf wurde zu ihrer ‚Bibel‘.“
Erklärtes Ziel war es, Jugendliche für die pantürkischen Ziele zu gewinnen. Im Sommer 1968 wurden die ersten Ausbildungslager errichtet, in denen Jugendliche von faschistisch gesinnten Militärs ausgebildet und indoktriniert wurden. Laut Aslan und Bozay „nach dem Muster von SS-Einheiten.“
Das Erkennungszeichen dieser paramilitärisch ausgebildeten Kampftruppen wurde der „Wolfsgruß“, bei dem der Zeige- und der kleine Finger ausgestreckt und der Mittel- und der Ringfinger mit dem Daumen gehalten werden. Von der Seite betrachtet sieht es aus wie das Profil eines Wolfes. Der Bozkurt (Graue Wolf) wurde zu ihrem Markenzeichen. Er stammt aus einem alttürkischen Mythos und soll Stärke und Aggressivität der Bewegung symbolisieren.
Bereits Anfang der 1970er Jahre bereiste Türkeş Deutschland und warb in den hier lebenden türkischstämmigen Arbeitern Anhänger an. Noch heute tarnen sich die „Grauen Wölfe“ hierzulande als „Idealistenvereine“. Unter diesem harmlos klingenden Namen konnten sie sich zu der mitgliederstärksten rechtsextremen Organisation in Deutschland entwickeln.
Inzwischen sind die „Idealisten“ in hunderten lokalen Vereinen sowie drei größeren Dachverbänden organisiert, Türk Federasyon, ATIB oder ATB aufgespalten. Mit Mehmet Alparslan Çelebi stellt ATIB den stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland e. V. (ZMD). ATIB gehört zu den Gründungsmitgliedern des ZMD.
Türkeş starb 1997, sein Grab ist eine Pilgerstätte für türkische Faschisten aus dem In- und Ausland.
Gemeinsames Feindbild HDP
Auch die ebenfalls an der „Volksallianz“ beteiligte BBP ist als nationalislamistisch, radikal einzustufen. Sie teilt mit den „Grauen Wölfen“ die extremistische, rassistische, islamistische und gewaltbereite Gesinnung und steht für totalitäre Strukturen zum Wohle von Religion und Nation. Ihr wird die Beteiligung an der Ermordung des armenischen Verlegers Hrant Dink 2007 ebenso nachgesagt wie die an der „Aktion Mavi Marmara“ gegen Israel 2010.
Das neueste Projekt der „Volksallianz“ ist das Verbot der HDP, der de facto einzig oppositionellen und den Minderheiten zugewandten Partei im Land. Sie verkündet auf ihrer Social-Media-Präsenz gerade erst wieder die Festnahme von 14 Personen der Führungsebene der HDP.
Doch deutsche Politiker wie Sigmar Gabriel lassen sich weder von solchen „Interna“ noch von Verfassungsschutzberichten stören. Mehr noch: Der ehemalige Außenminister, inzwischen ohne irgendein Mandat, hat die Chuzpe bzw. Torheit, „Wölfe“ wie Çavuşoğlu, der nicht einmal einen Schafspelz trägt, im Kampf gegen Rassismus zu seinem Freund zu erklären.
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