Unsere Leute in Uman
Was israelische Polizisten in der chassidischen Hauptstadt der Ukraine machen
Israelische Polizisten in der Ukraine
Es ist bekannt, dass sich Zigtausende israelischer Pilger im Herbst, in der Zeit der Hohen Feiertage, auf den Weg nach Uman machen. Allerdings nicht allein – mit dabei ist eine Einheit israelischer Polizisten, die eine wichtige Aufgabe haben: Konflikte aller Art zu schlichten, sowohl zwischen den Einheimischen und den sie plötzlich „überfallenden“ Juden als auch zwischen den Pilgern selbst.
Israelische Polizisten sorgen zusammen mit ihren ukrainischen Kollegen an den Pilgerorten der israelischen Chassiden für Ordnung. Die ukrainische Polizei muss jedes Jahr in diesen Tagen in verstärkten Gruppen zusätzliche Dienststunden ableisten. Außer den ukrainischen und israelischen Polizisten sind Ärzte, Feuerwehrmänner, Pyrotechniker, Spezialisten in den Bereichen Strahlenschutz, chemische und biologische Waffen und sogar Taucher vor Ort.
Als eine israelische Polizeieinheit aus der Ukraine zurückkam, stellten wir dem Kommandeur, Major Slawa Buntschuk, und seinem Stellvertreter, dem Pressesprecher Major Michail Singermann, einige Fragen darüber, was israelische Polizisten an den Ufern des Flusses Umanka für Aufgaben hatten.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Michail, wie hat es angefangen, mit den israelischen Polizisten in Uman?
Es begann Ende der 90er Jahre: Durch den Zulauf tausender israelischer Pilger waren die einheimischen Kräfte überfordert, zumal man sich sprachlich nicht verständigen konnte.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Kam die Bitte der Ukrainer um Hilfe deshalb, weil die Israelis so viele Ordnungswidrigkeiten begangen?
Ach was, natürlich nicht. Ich frage mich, wie es kommt, dass in der israelischen Gesellschaft die Meinung entsteht, nach Uman würden nur Schwerverbrecher fahren, welche geradezu davon träumen, Böses anzurichten. Natürlich ist diese Annahme Unsinn, falsche Stereotype! Der Großteil der Pilger kommt in einer besonderen geistigen Verfassung nach Uman, um am Grab des Rabbi Nachmans zu beten (Rabbi Nachman von Breslow 1772-1810, war ein Zaddik – ein Gerechter –, der Gründer des osteuropäischen Chassidismus, einer besonderen spirituellen Bewegung im Judentum). Traditionell pilgern Chassidim/Chassiden am Rosch HaSchana, dem jüdischen Neujahrsfest, zu Rabbi Nachmans Grab (Anm. d. Übers.). Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass dort, wo sich große Menschenmengen versammeln, deren Sicherheit und Ordnung gewährleistet werden muss. Von daher ist es in erster Linie unsere Aufgabe, den ukrainischen Kollegen dabei zu helfen, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wer von den Sicherheitskräften wird nach Uman geschickt, gibt es ein Auswahlverfahren?
Zuerst werden im Amt für öffentliche Ordnung ein Kommandeur und sein Stellvertreter bestimmt, danach bekommt jedes Revier die Anweisung, eine Kandidaten-Liste für den Uman-Dienst bereitzustellen. Es handelt sich dabei um Kollegen aus der Spezialeinheit der Grenzpolizei, welche natürlich fließend Russisch oder Ukrainisch sprechen und sich mit der entsprechenden Technik wie Kommunikationsgeräten der Polizei vor Ort auskennen müssen. Dann fällt eine Auswahlkommission die endgültige Entscheidung. In diesem Jahr waren es 20 Kollegen. Am Wettbewerb an sich nehmen in der Regel dreimal so viele teil.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Und sie alle sind aus der Spezialeinheit der Polizei? Sind womöglich die Stereotype doch nicht so falsch?
Sie müssen verstehen: Eine Spezialeinheit der Polizei hat viele Funktionen. Der Kampf mit der organisierten Kriminalität ist nur eine davon. Die wichtigste Funktion bleibt jedoch, die Ordnung auf öffentlichen Veranstaltungen zu gewährleisten. Und genau diese Erfahrung braucht man in Uman. Unsere Polizisten sind dort in erster Linie eine Art Vermittler zwischen der dortigen Polizei und der Bevölkerung einerseits, und den Pilgern andererseits. Wenn etwas passiert, kommen unsere Kollegen zusammen mit den ukrainischen Polizisten hinzu, helfen, die Lage zu klären und zu vermeiden, falsche Schlüsse zu ziehen nur aus dem Grund, dass sich die Seiten durch fehlende Sprachkenntnisse nicht verständigen können; sie helfen, die angespannte Lage zu deeskalieren. Sollte ein Israeli das Opfer eines Diebstahls oder eines anderen Vergehens werden, können sie dabei helfen, eine Täterbeschreibung abzugeben, den gestohlenen Gegenstand zu benennen usw.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wann beginnt der Dienst? Sofort nach der Ankunft in Uman oder gibt es noch paar Tage, sich dort einzuleben?
Die Vorbereitungen auf den Einsatz in der Ukraine beginnen lange vor der Abreise, nach der Auswahl der Kandidaten. Die Mitglieder dieser neugegründeten Einheit kennen einander in der Regel nicht. Ich als Stellvertreter und Pressesprecher bin seit fünf Jahren dabei, unser Kommandeur Buntschuk war jetzt zweimal hintereinander dort; von diesen Kollegen gibt es nicht viele. Die anderen waren ja alle neu, und es galt, noch in Israel ein eingespieltes Team und gute Kameraden zu werden. Denn unser Dienst dort beginnt mit der ersten Minute, in dem wir ukrainischen Boden betreten. Und die Arbeit im Ausland, nonstop, eine Woche lang unter diesen spezifischen Bedingungen in Uman – das ist nicht einfach. Alles muss von Anfang bis Ende reibungslos funktionieren. Für die Neuen gibt es einen eintägigen Kurs an der Polizeiakademie: Wir stellen uns vor, jeder erzählt über sich, es werden Vorträge über Uman gehalten: warum Israelis dorthin pilgern, worin die Spezifik unserer Arbeit besteht. Selbstverständlich kommen wir an einem solchen Tag einander näher.
In Uman kommen wir normalerweise in den Abendstunden an, lernen die dortigen Kollegen kennen und fahren sofort zum Ort, wo unser Dienst abgehalten wird. Hier ist die Erfahrung derer gefragt, die bereits in Uman waren, sie helfen den Neuen, erklären Einzelheiten. Am nächsten Tag fühlen sich alle am neuen Ort sicher. Es werden Gruppen gebildet von fünf bis sechs Mann; sie arbeiten in drei Schichten. Ich möchte betonen, dass uns die ukrainische Seite sehr gute Bedingungen geschaffen hat: wir wohnen in einem gemütlichen Hotel am Stadtrand, die Transfer-Buse kommen immer pünktlich, es entstanden wunderbare freundschaftliche Verhältnisse; alles in allem ein perfektes Arbeitsklima.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Ich komme zurück zu meiner Frage: Was für Menschen sind diese Pilger?
Ganz verschiedene. Die absolute Mehrheit sind Gläubige, sie wollen am Grab des Rabbi Nachman „Tikkun klali“ – „Selbstverbesserung, Richtigstellung der Seele“ – begehen. Es gibt allerdings auch solche, die Probleme mit dem Gesetz haben – sie verkaufen Drogen, begehen Wohnungseinbrüche, manchmal gibt es Messerstechereien. Hier muss ich bemerken, dass es in diesem Jahr viel weniger dieser Vorkommnisse gab.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Reden Sie über die Dringe, welche zwischen Israelis und Einheimischen oder nur zwischen Israelis passieren?
Beides. Was Diebstähle anbelangt, sind Israelis für gewöhnlich die Opfer; bei Gewaltdelikten ist das nicht immer so. Manche Pilger, welche Jahr für Jahr nach Uman kommen, oft in größeren Gruppen, kennen sich untereinander und wissen, bei wem sie Unterschlupf finden; dort ist nichts Schlimmes zu erwarten. Einige kommen aber als Einzelpersonen, finden eine Unterkunft mit vielen Fremden, was dann auch aus nichtigen Gründen zu Konflikten führen kann. Aus einem Streit wird eine Schlägerei und leider manchmal eine Messerstecherei. Dennoch muss ich wieder betonen: In diesem Jahr war die Lage viel besser, als im Jahr zuvor.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Gibt es hierfür eine Erklärung?
Ich hätte eine Erklärung, auch wenn sie Ihnen merkwürdig erscheint: Zum ersten Mal nach vielen Jahren kam die Stadtverwaltung in Uman dazu, die Straßen richtig sauber zu halten. Bereits um vier Uhr morgens waren Straßenfeger tätig und um sechs kamen die Müllabfuhrwagen, und das dann mehrmals täglich. Und siehe da – die Stadt wurde sauber! Davor hieß es stets in den Medien, die Chassidim vermüllen die Stadt, auch die Stadtbewohner klagten über die schlimmen Zustände auf den Straßen während der jüdischen Feiertage, die Stadt sei im Müll versunken. Manche äußerten ganz offen ihren Hass den Pilgern gegenüber.
Manche Probleme der Pilger verstehen nur Polizisten aus ihrem Heimatland.
Und dann stellte sich plötzlich heraus: Wenn man den Müll regelmäßig aus der Stadt entfernt, dann versinkt sie auch nicht in ihm. Die Stadt hat sich geändert und mit ihr die Menschen: Alle wurden freundlicher, ruhiger. Auch unserer Einheit gegenüber: Die Menschen auf den Straßen kamen auf uns zu, bedankten sich; der ganze Hass war plötzlich weg. Diese neue freundliche Stimmung bemerkten nicht nur wir, das sagten auch unsere ukrainischen Kollegen. Unser besonderer Dank gilt der Stadtverwaltung Umans, sie hat uns unsere Arbeit spürbar erleichtert.
Zu diesem Zeitpunkt kam Major Slawa Buntschuk zu unserem Gespräch dazu und bestätigte seinerseits, dass die Situation in Uman während der Pilger-Aufenthalte immer besser werde und es immer weniger Straftaten gebe, was darauf zurückzuführen sei, dass die Erfahrung in der Zusammenarbeit ukrainischer und israelischer Polizisten stets zunehmen würde. Dadurch habe man in diesem Jahr einige Straftaten vereiteln können. Auf die Frage, mit welchen Störungen der öffentlichen Ordnung man überwiegend zu tun habe, kommt eine eindeutige Antwort: Mit Diebstählen und Wohnungseinbrüchen dort, wo Israelis einquartiert werden. Und es habe auch Ordnungswidrigkeiten auf den nicht genehmigten Demonstrationen gegeben.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wer demonstrierte denn? Die Ukrainer?
Nein, die Israelis. Eine Demo fand deshalb statt, weil Israelis sich über den blühenden Frauenhandel in der Ukraine und speziell in Uman empörten. Eine andere Demonstration wurde gegen ein Bauvorhaben organisiert, welches – so meinten die Teilnehmer – die alten Synagogen und die jüdischen Friedhöfe hätte zerstören können.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: An welches Ereignis aus diesem Jahr wirst du dich erinnern?
Schwer zu sagen. Es gab, beispielsweise, über ein Dutzend Fälle von Vermissten: Besorgte Verwandte oder Freunde der Pilger wandten sich an uns, es hieß, jemand meldet sich nicht, geht nicht ans Telefon. Daraufhin begannen wir zusammen mit den ukrainischen Kollegen eine Suchaktion, fragten die Bewohner. Schließlich wurden alle Vermissten gefunden: Einer zog sich zurück, um seine Gedanken zu sortieren, ein Anderer betete mit einer anderen Gruppe usw. Ich denke, die Tatsache, dass alle Israelis, welche über die Hohen Feiertage nach Uman gereist sind, unversehrt zurückkamen, zeigt, dass wir keine schlechte Arbeit geleistet haben.
Ich selbst war stolz, der Kommandeur einer israelischen Einheit zu sein. Jeder von uns wusste, wie wichtig unsere Mission war; wir konnten mit der Bevölkerung in ihrer Sprache kommunizieren und gleichzeitig verstanden wir als Israelis die Mentalität und Traditionen der Pilger. Es handelte sich schließlich nicht nur um Ordnungswidrigkeiten: Nicht selten können Einheimische das Verhalten oder die Taten von Israelis nicht verstehen, fanden sie merkwürdig; auch das kann zu Konflikten führen. Wenn wir aber erklärten, dass beispielsweise das Eintauchen in die Mikwa oder Taschlich – ein Ritual am Fluss – mit religiösen Vorschriften zu tun habe, entspannte sich die Situation. Es gab auch Vorfälle, bei denen Pilger und ukrainische Polizisten einander einfach nicht verstehen konnten, es kam beinahe zu einer Festnahme; aber sobald wir dort erschienen, konnte alles schnell geklärt werden. Man kann sagen, wir sind nicht umsonst nach Uman gereist.
Das Interview führte Peter Lückimson
Übersetzung aus dem Russischen von Irina Korotkina
Die Bilder wurden von der israelischen Polizei zur Verfügung gestellt
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