Die Regierung Sisi – ein Stabilitätsfaktor im Nahen Osten

Der ägyptische Präsident wird als pro-israelische Leitfigur auch in der islamischen Welt gehört, aber von der Mursi-freundlichen westeuropäischen Politik massiv angegriffen und dämonisiert.

Präsident Trump unterstützt seinen ägyptischen Kollegen Sisi, während sein Vorgänger Obama die Muslimbrüder vorzog.© GFali Tibbon, AFP

Von Alexander Maistrpwoj

Abdel Fattah As-Sisi ist der Todfeind der Hamas, denn die Hamas ist der „palästinensische“ Arm der ihm verhassten Muslimbrüder. Seinerzeit leistete die Hamas völlig offen Hilfe für das Mursi-Regime, was As-Sisis ablehnende Haltung nur verstärkte; darüber hinaus wird die Hamas beschuldigt, 16 ägyptische Militärangehörige getötet und mehrere aktive Mitglieder der Muslimbrüder im Zuge der Ausschreitungen von 2011 aus den Gefängnissen befreit zu haben.

Der Präsident, der der Gaza-Führung die Unterstützung islamistischer Kräfte auf der Sinai- Halbinsel vorwirft, zerstörte entschlossen die Tunnel an der Grenze und blockierte den Grenzübergang in Rafiah. Diese Strategie Hamas betreffend entspricht der Gesinnung der gesamten Militärführung des Landes. Der ehemalige Leiter des ägyptischen Militärnachrichtendienstes, Generalmajor Tamer al-Shahaw, behauptet, hinter den Muslimbrüdern stehe das iranische Regime, welches danach strebe in Ägypten „parallele Streitkräfte“ zu bilden. Seiner Meinung nach waren während Mursis Herrschaft die Islamischen Revolutionären Garden (IRGC) in Ägypten sehr aktiv, mit dem Ziel eine Zersetzung der ägyptischen Armee herbeizuführen.

 

Die Muslimbrüder sowie die Hamas „erwidern“ As-Sisis Gefühle:

Sisi ruft zur Reform des Islams auf, lässt die Freitagsgebete kontrollieren, auf seinen Erlass hin werden die Inhalte von Schulbüchern geändert – das gesamte Märtyrertum, religiöse Hetze und sogar die Huldigung der islamischen Heerführer – Maghreb-Eroberer Uqba ibn Nafi und Salah-ad-Din – wurden entfernt. As-Sisi unterstützt die Kopten und tut es offen, sogar demonstrativ; er wurde der erste ägyptische Präsident, der eine christliche Messe besuchte (Januar 2015); dabei wünschte er der christlichen Gemeinde eine blühende Zukunft.

 

Die Wunder am Nil

Vor dem Hintergrund eines „kalten Friedens“ zwischen Israel und Ägypten erleben die bilateralen Beziehungen momentan einen wahren Frühling. As-Sisi gibt offen zu, im steten Kontakt mit Benjamin Netanjahu zu sein und die britische Wochenzeitung „The Economist“ nennt den ägyptischen Präsidenten „der ungewöhnliche proisraelische ägyptische Staatsführer“.

„Die Wunder am Nil“ begannen unmittelbar nach der Machtergreifung As-Sisis. Als die Gaza-Operation 2014 ihren Anfang nahm, „entdeckten“ arabische Medien, welche jahrelang die antisemitischen Karikaturen nach „Stürmer“-Art veröffentlichten, plötzlich ihre Sympathie für das „zionistische Gebilde“. „Sei gedankt, Netanjahu; möge Allah uns mehr von Deiner Sorte herabsenden – dann wird die Hamas vernichtet“, äußerte sich der Kommentator der größten Zeitung des Landes „Al-Ahram“, Azza Sami.

Den Gazanern geht es oft besser als den Ägyptern

Die Zeitung „Al-Bashair“ kritisierte die Entscheidung des ägyptischen Verteidigungsministers, 500 Tonnen humanitärer Hilfe nach Gaza zu schicken: „Gaza-Einwohner haben viel bessere Lebensbedingungen als

Ägypter. Die ägyptischen Armen haben unter ihrer Armut stark zu leiden und benötigen diese Hilfe viel dringender. Soll doch Katar den Gazanern helfen.“

Der Politologe Khaled Abu Toameh äußerte sich dahingehend, dass Gazas Einwohner ihre schwierige Lage selbst zu verantworten hätten. Der ehemalige General Hamdi Bakhit ging sogar noch weiter und meinte, Israel solle Gaza wieder besetzen: „Es wäre allemal besser, als die Macht der Hamas“. Man dürfe nicht vergessen, dass die Hamas eine Abzweigung der terroristischen Gruppierung der Muslimbrüder sei, erinnerte Fernsehkommentatorin Amani Al-Hayat.

Damit nicht genug:

Im April 2015 rief der Fernsehmoderator Tawfik Okasha im Fernsehsender „Al Farahin“ Netanjahu auf, „auf Allah zu vertrauen“ und den iranischen Atomreaktor zu zerbomben: „Iran ist vor dir. Buschehr ist vor dir. Vertraue auf Allah und zerstöre den Reaktor. Wir stehen hinter dir. Wenn du den Kraftstoff für deine Flugzeuge brauchst, schicken wir ihn dir“, so Okasha, und nannte Netanjahu, welcher erst kürzlich von ihm beschimpft wurde, „einen Freund Ägyptens“. Im Mai gleichen Jahres beschloss das Oberste ägyptische Gericht, dass Israel nicht weiter als „terroristischer Staat“ bezeichnet werden darf, wie es mehrere NGOs verlangten.

Im November 2015 unterstützte Kairo bei den Vereinten Nationen das Gesuch Israels, Mitglied des Büros der Vereinten Nationen für Weltraumfragen, kurz UNOOSA, zu werden. Zur Erinnerung: Erst zwei Jahre zuvor bezeichnete Mursi, welcher der Unterstützung Obamas und der EU sicher war, Israelis als „Nachfahren von Affen und Schweinen“ und schlug allen islamischen Ländern vor, sich gegen die „zionistischen Verbrecher, die das palästinensische Blut saugen“, zu vereinigen.

Allerdings muss man sagen, dass As-Sisi Israel nicht minder brauchte als Israel ihn. In der Zeit des As-Sisi-Obama Konflikts konnte man in den Medien eine Meldung verfolgen, welche besagte, Saudi-Arabien sei gemeinsam mit Israel bemüht, den Druck Washingtons auf Kairo zu mildern: Ein noch vor kurzem surreales Sujet…

Im Juni 2015 beendete Ägypten den Bau eines 20 Meter tiefen und 10 Meter breiten, mit Meerwasser gefüllten Grabens an der Gaza-Grenze; alle Bauten in der Sperrzone inklusive Wohnhäuser wurden abgerissen. Binnen eineinhalb Jahren zerstörte ägyptisches Militär nahezu 1.500 terroristische Tunnels, welche von Gaza aus nach Ägypten führten (sie wurden geflutet; die Frage, was Israel daran hindert das gleiche Knowhow zu benutzen, bleibt offen).

Im Januar dieses Jahres, gefragt von Scott Pelkey, dem Journalusten der Sendung „CBS Evening News“, ob die gegenwärtige Zusammenarbeit mit Israel als die engste der israelisch-ägyptischen Geschichte bezeichnet werden könne, erwiderte As-Sisi: „In der Tat; wir pflegen unsere Kontakte mit Israelis in einem breiten Spektrum von Bereichen.“

Von Zeit zu Zeit werden die Hamas-Führer nach Kairo bestellt und erhalten eine Rüge bezüglich ihrer anti-israelischen Provokationen. Dabei wird es seitens Ägyptens so arrangiert, dass die Welt über diese „Abmahnungen“ Kenntnis erlangt. Nach dem diesjährigen Beschuss Gusch Dans (Vorort von Tel Aviv, - Anm. d. Übers.) im Winter 2019 konnte man vielen Medien entnehmen, dass Ägypten seinen Unmut mehr als deutlich äußerte. Der Hamas-Spitze wurde mitgeteilt, dass, sollte die IDF sich für eine Militäroperation entscheiden, Ägypten sie nicht daran hindern werde, auch dann nicht, wenn es um die Besetzung Gaza gehen würde.

Parallel zur gewohnten Rhetorik über den Friedensprozess und den „palästinensischen“ Staat lässt As-Sisi keine Gelegenheit aus, Abu Masen öffentlich zu demütigen. 2015 verlangte er von ihm, die Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag über eine strafrechtliche Verfolgung israelischer Spitzenpolitiker fallen zu lassen.

Eine Zeit lang ignorierte As-Sisi das „palästinensische“ Oberhaupt völlig; erst im November 2018 kam er dazu, sich mit Abu Masen in Scharm el-Scheich zu treffen, um ihm einen Vortrag über die dominierende Rolle Ägyptens bei der Befriedung der „palästinensischen“ Fraktionen zu halten. In den „palästinensischen“ Zeitungen ist zu lesen, dass seitens As-Sisi und des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman auf Ramallah ein „präzedenzloser Druck“ ausgeübt wird, mit dem Ziel, Abu Masen zu zwingen, Trumps Friedensplan anzuerkennen.

Darüber sollte man sich nicht wundern. Noch im November 2014 schlug As-Sisi vor, auf der Sinai- Halbinsel einen „palästinensischen“ Staat mit der Fläche von 1.600 Quadratkilometern zu errichten, was fast fünfmal die Fläche des Gazastreifens ist. Dafür hätten die „Palästinenser“ ihre Forderungen an Israel einstellen sollen, nämlich, dass Israel zu den Grenzen von 1967 zurückkehrt.

Zu gleicher Zeit gab As-Sisi der italienischen Zeitung „Corriere della Sera“ ein Interview, in dem er seine Bereitschaft, das ägyptische Militär in den zukünftigen „palästinensischen“ Staat zuschicken, um dort bei der Entstehung von Machtstrukturen zu helfen, deutlich zum Ausdruck brachte. Im Januar 2015 schrieb die libanesische Tageszeitung „Al-Akhbar“, dass As-Sisi Abbas vorschlug, die neue „Hauptstadt“ in den arabischen Vierteln und Vororten Jerusalems auszurufen. Eigentlich war das ein Teil des Plans von Kronprinz Mohammed, später in der „New York Times“ erschienen; dort stand ein konkreter Vorschlag, als Hauptstadt das arabische Dorf Abu-Dis auszuwählen.

 

Rettung Ägyptens durch Saudi-Arabien, VAE und Kuwait

Das alles bedeutet jedoch nicht, dass Israel nichts zu befürchten hätte. Wenn man von Ägypten spricht, sollten zwei Aspekte berücksichtigt werden: Die Instabilität innerhalb des Landes und seine gigantische, mit der modernsten Technik ausgerüstete Armee. Nach der „Tahrir-Platz-Revolution“ stand Ägypten am Abgrund. Die Wirtschaft wurde im Wesentlichen zerstört, das Sozialwesen ruiniert, die Währungsreserven erschöpft. Dank der sofortigen Hilfe Saudi-Arabiens, der Vereinigten Arabischen Emiraten und Kuwaits ist es As-Sisi gelungen, die Lage zu stabilisieren.

2014 erhielt das versinkende Ägypten von diesen drei Ländern 20 Milliarden US-Dollar; die Unterstützung dauert an, da As-Sisi als eine Macht angesehen wird, welche imstande wäre, einerseits den Iran und andererseits die Islamisten zu stoppen. Als Dank schickte Ägypten ein Expeditionskorps nach Jemen, zur Verstärkung des Kampfes gegen die pro-iranischen aufständischen Huthi-Truppen und „schenkte“ den Saudis die Insel Sanafir und Tiran im Golf von Akaba.

Gegenwärtig befindet sich die wirtschaftliche Lage Ägyptens auf einem besseren Stand als 2013/14, ist dennoch bei weitem nicht gut. Um die Staatsausgaben zu kürzen und die Energieprobleme zu lösen, stoppte die Regierung die Treibstoffsubventionen, die bis dato ein Viertel der staatlichen Mittelzuweisungen ausmachten. Das Ergebnis war zwiespältig: Einerseits wurde die Wirtschaft dadurch stabilisiert; bereits 2015 erhöhte Moody’s die Prognose Ägyptens im Bezug auf Kreditrating von „negativ“ auf „stabil“ und die Ratingagentur Fitch – von „B-“ auf „B“ (beide zwar als „hochspekulativ“ zu verstehen, dennoch mit einer leichten Verbesserung, - Anm. d. Übers.). 2016 begann das Land mit einer umfassenden wirtschaftlichen Reform, unterstützt durch den Internationalen Währungsfond und erhielt 12 Milliarden US-Dollar als Darlehen.

Auf der anderen Seite folgten die Preiserhöhungen auf Güter des Grundbedarfs, was wiederum zum Unmut in der Bevölkerung führte. Hinzu kam, dass am Anfang des Jahres 2016 das ägyptische Pfund einen Währungsverfall erlitten hat; das erschwerte die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung erheblich.

 

Ägypten baut eine neue Hauptstadt

Indem As-Sisi sein Volk den Gürtel enger schnallen ließ, realisiert er grandiose Projekte: Den Bau einer neuen Hauptstadt (Kosten: 45 Mrd. US-Dollar), die Dubai übertreffen soll, und eines neuen Suezkanal. Dabei muss man sich vor Augen führen: Das, was sich die Vereinigten Arabischen Emirate mit der Bevölkerungsanzahl von drei Millionen und immensen Ölreserven erlauben können, ist für ein armes Land mit hoher Korruption und einer Bevölkerung, die zu 35–40 % lediglich zwei Dollar am Tag zur Verfügung hat, kaum realisierbar; solche Ambitionen können den derzeitigen „Pharao“ teuer zu stehen kommen. Dabei gibt es momentan nur eine Alternative zur Regierung As-Sisis – und das wären die Muslimbrüder.

 

Die ägyptische Armee ist groß und hat moderne amerikanische Waffen

Es gibt noch einen Aspekt: Das gewaltige militärische Arsenal Ägyptens. Bereits 2006 wies der ehemalige Leiter der Kommision der Knesset für auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung Yuval Stainiz darauf hin, dass die ägyptischen Streitktäfte qualitativ wie quantitativ den israelischen in nichts nachstehen. Aktuell verfügt die ägyptische Armee über eine wesentlich größere Anzahl von Panzern, Luftabwehrbatterien, Artilleriewaffen, Kriegsschiffen als die Zahal, dabei handelt es sich um moderne amerikanische Waffen und keine veralteten sowjetischen Modelle. Es stellt sich die Frage, gegen wen ein solches Arsenal eingesetzt werden kann?

 

Konflikt Ägypten – Sudan

Für gewöhnlich sagt man in Israel, Ägypten habe keine Feinde außer dem jüdischen Staat. Das entspricht allerdings nicht den Tatsachen. Traditionell hat Ägypten ein angespanntes Verhältnis zu seinen Nachbarn Libyen und Sudan. Der Konflikt Kairos mit Khartum besteht seit 1899. Den Zankapfel stellt das sogenannte Hala’ib-Dreieck dar – ein umstrittenes Gebiet mit einer Fläche von über 20.000 Quadratkilometern. 1993–1994 artete der Konflikt in eine bewaffnete Auseinandersetzung aus; 1995 nahm Ägypten den größten Teil des besagten Territoriums ein. Der Sudan wirft Ägypten eine Unterstützung der Oppositionellen vor, Ägypten beschuldigt Sudan, ägyptischen Islamisten Zuflucht zu gewähren. 1990 beschuldigte der damalige ägyptische Präsident Hosni Mubarak Khartum, den Assuan-Staudamm angreifen zu wollen. Sollte so etwas geschehen, hätte es in der Tat fatale Folgen für Ägypten, denn das Nildelta dient als Lebensraum für 90 % der ägyptischen Bevölkerung.

2018 verschärfte sich die Lage erneut, daraufhin zog der Sudan seinen Botschafter aus Kairo ab. Khartum genießt dabei die Unterstützung des türkischen Präsidenten Erdogan, As-Sisis Widersacher. Als Antwort wurden ägyptische Militärangehörige auf einen Stützpunkt der Vereinigten Arabischen Emirate in Eritrea, an der Grenze zum Sudan, geschickt. Damit galt der Konflikt als erledigt, aber der Sturz Umar al-Baschirs im April 2019 und die Machtergreifung des Militärs im Sudan kann unvorhersehbare Folgen haben.

 

Konflikt Ägypten – Libyen

Die bilateralen Beziehungen zwischen Agypten und Libyen erlebten während der Herrschaft Muammar al-Gaddafis eine schwere Krise, 1977 kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Derzeit stellt Libyen keine Gefahr dar, seine Zukunft ist dennoch ungewiss. Sollten hier Islamisten die Oberhand gewinnen, könnte es zur Entstehung eines “Kalifats” führen, was Ägypten zum Eingreifen zwingen würde.

 

Konflikt Ägypten – Äthiopien

Zu erwähnen wäre darüber hinaus ein schwerwiegender Faktor in den ägyptisch-äthiopischen Beziehungen, nämlich der von Addis Abeba geführte Bau eines Wasserkraftwerks am Nil.

Dieses Projekt ist äußerst vorteilhaft für Äthiopien und enorm gefährlich für seine nördlichen Nachbarn, denn die Inbetriebnahem dieses Wasserkraftwerks würde Ägypten seines Wassers berauben. Es wird nach Lösungen des Problems gesucht, die Verhandlungen stocken aber zur Zeit. In der Vergangenheit drohten ägyptische Staatsführer sogar, das Kaftwerk zu bombardieren. Es ist davon auszugehen, dass solche Pläne bereits erarbeitet wurden, auch wenn diese Drohung seit langem nicht mehr artikuliert wird.

“Im Nahen Osten gibt es für einen Schwachen keinen Platz”, sagte seinerzeit Netanjahu. Es besteht kein Zweifel, dass auch As-Sisi diese Überlebensformel kennt.

Derzeit ist anzunehmen, dass der ägyptische Präsident keinen Krieg mit Israel anstrebt. Eine andere Frage stellt sich aber: Wie stabil ist seine Macht? Man kann nicht sicher sein, dass in diesem Land nicht erneut die Islamisten an die Macht kommen, und das wäre ein Alptraum für den jüdischen Staat.

 

Übersetzung aus dem Russischen von Irina Korotkina

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