Die frei erfundene jüdische Familien-geschichte der „Bloggerin des Jahres“
Nach Wolfgang Seibert, dem Gemeindevorsitzenden von Pinneberg, wurde nun eine weitere linke Politaktivistin, die Autorin Marie Sophie Hingst, als pseudo-jüdische Hochstaplerin entlarvt.
Marie Sophie HingstYOUTUBE, Screenshot
Die 31-jährige Historikerin Marie Sophie Hingst betrieb bis vor kurzem ihren Blog „Read on, my dear, read on“ (Lies weiter, Liebes, lies weiter) mit mehr als 240.000 Followern. Nun hat sich herausgestellt, dass die meisten ihrer dort veröffentlichten Geschichten erfunden sind. Die gebürtige Wittenbergerin formte ihre Familie in der Fantasie zu jüdischen Holocaust-Opfern. „Der Spiegel“ legt in seiner Ausgabe 23/2019 dar, wie die mittlerweile in Dublin lebende Hingst die Öffentlichkeit gezielt hinters Licht führte.
Der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem sandte sie 22 sorgfältig ausgefüllte Bögen mit erdichteten Biografien. Nur drei Menschen davon haben überhaupt existiert. Ihren Urgroßvater Hermann Hingst machte sie samt seiner Frau Marie zu jüdischen NS-Ermordeten – obwohl Hermann Hingst evangelischer Pfarrer war und noch 1947 in der sowjetischen Besatzungszone einen Antrag auf Wiedereinstellung als Lehrer stellte. Ihren anderen Urgroßvater, Josef Karl Brandl, erklärte sie zu einem Auschwitz-Todesopfer. In Wirklichkeit war keiner von Hingsts Vorfahren Jude und keiner von ihnen wurde ermordet.
Niemand schöpfte Verdacht
Mit ihren Lügen täuschte sie die Archivare von Yad Vashem. Die angegebenen Daten würden zwar kurz geprüft, grundsätzlich gehe man aber davon aus, dass die Gedenkseiten in ehrlicher Absicht ausgefüllt werden, ließ die Gedenkstätte mitteilen. Ihre Fake-Geschichten wurden allerorts gefeiert: Ein Buch von Hingst ist in zwölf Sprachen erhältlich. Über ihr gleichermaßen ersponnenes Engagement für Flüchtlinge schrieb sie für „Zeit Online“ und berichtete bei „Deutschlandfunk Nova“. Die „Financial Times“ verlieh ihr 2018 den „Future-for-Europe“-Preis.
Skepsis regte sich bei aufmerksamen Lesern zunehmend, als sie über eine indische Slumklinik schrieb, die sie mit 19 Jahren selbst gegründet haben will und wo sie jungen Männern angeblich sexuellen Aufklärungsunterricht gab. Es fehlten Nachweise, Hingst machte widersprüchliche Angaben. Ein wachsendes Team aus Genealogen und Archivaren heftete sich an ihre Fersen, recherchierte auch über ihre Familiengeschichte – und holte irgendwann den „Spiegel“ mit ins Boot.
Mit den Fakten konfrontiert, stritt Hingst zunächst jede Lüge ab und engagierte einen Anwalt. Über diesen ließ sie später mitteilen, dass die Texte in ihrem Blog „ein erhebliches Maß an künstlerischer Freiheit für sich in Anspruch“ nähmen: „Es handelt sich hier um Literatur, nicht um Journalismus oder Geschichtsschreibung.“
Die Opferrolle genossen
Das Team von „Die Goldenen Blogger“, das Hingst 2017 als „Bloggerin des Jahres“ ehrte, hat Hingst per Twitter um eine Stellungnahme gebeten. Mittlerweile wurde ihr der Preis bis auf weiteres aberkannt.
Martin Doerry vom „Spiegel“, der die Geschichte recherchierte, gibt zu bedenken, dass es bei allem Antisemitismus, „den es in diesem Land gibt“, in gewissen Milieus als Auszeichnung gilt, einen jüdischen Hintergrund zu haben. Hingst habe sich wohl damit schmücken wollen. Die Zeitung „Der Tagesspiegel“ kommt in einem Kommentar zu dem Schluss, dass die Bloggerin sich mit ihren Fantasien eine erlogene Dornenkrone aufsetzte und den Nimbus der Opferrolle suchte. Die „Deutsche Welle” urteilt, Hingst habe „fehlenden Respekt vor der Erinnerungskultur bewiesen und Holocaust-Opfer verhöhnt“.
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