Großbritannien und der Judenhass: Keine Veränderung mit der neuen Regierung

Shabana Mahmood wurde als Lord High Chancellor vereidigt und ist die neue Justizministerin Großbritanniens.© OLI SCARFF7AFP

Antisemitische Vorfälle haben sich in Großbritannien zwischen 2012 und 2020 verdoppelt und in den letzten drei Jahren sogar fast verdreifacht. Wegen dieser anti-jüdischen Stimmung erwogen bereits im Jahr 2018 44 Prozent der britischen Juden auszuwandern. Mit dem politischen Erstarken der muslimischen Bevölkerung und besonders seit dem 7. Oktober hat sich die Sicherheitslage für Juden in Großbritannien nochmals gefährlich verschärft. Obwohl der neue Premierminister Keir Starmer, der selbst mit einer Jüdin verheiratet ist, nicht annähernd den Juden-Hass des ehemaligen Labour-Parteichefs Corbyn teilt, sind wieder auch sogenannte pro-„palästinensische“ Politiker an die Macht gekommen, darunter die völlig antiisraelisch-voreingenommene neue Justizministerin und Lordkanzlerin Shabana Mahmood, die sogar als Aktivistin der antisemitischen BDS-Bewegung bekannt ist. (JR)

Von Julian M. Plutz

In Großbritannien herrscht Wechselstimmung. Der neue britische Premierminister Keir Starmer verspricht nach dem Wahlsieg, den man als fulminant bezeichnen kann, einen Neustart für das Land. "Der Wandel beginnt jetzt", rief Starmer in London seinen frenetisch jubelnden Anhängern zu. "Im ganzen Land werden die Menschen zu der Nachricht aufwachen, erleichtert, dass eine Last von ihren Schultern genommen wurde."

Kein Pathos scheint dem Sozialisten fremd zu sein. „Das Sonnenlicht der Hoffnung, das zunächst blass ist, aber im Laufe des Tages stärker wird, strahlt wieder auf ein Land, das nach 14 Jahren die Chance hat, seine Zukunft zurückzubekommen." 14 Jahre deshalb, weil 14 Jahre die Tories, die Konservativen, an der Macht waren. Mit diesen 14 Jahren brach nun Starmer. Ob der Labour-Chef auch mit dem Judenhass seines Vorgängers, Jeremy Corbyn, bricht, wird sich noch zeigen.

 

Corbyn befeuerte Judenhass

Denn Corbyn ist nicht weg; er verteidigte sein Mandat im Unterhaus. Seine Zeit als Vorsitzender der Arbeiterpartei ist von Skandalen geprägt. Ephraim Mirvis, der Oberrabbiner im Vereinigten Königreich, beschuldigt Corbyn und sein Führungsteam der „Mitschuld“ am neuen Judenhass auf der Insel. „Dies ist nicht mehr nur eine Frage der Unfähigkeit der Labour-Führung, mit dem Übel des Antisemitismus fertig zu werden, sondern direkter Komplizenschaft“, so Mirvis.

Die Deputiertenkammer britischer Juden, der sogenannte „Board of Deputies“, erklärte, Judenhass werde bei Labour „mit Geringschätzigkeit“ behandelt. Im Jahr 2019 hatten die Deputierten schon geklagt, Corbyn führe die Labour Party in einen „Ort der Finsternis“. Immerhin gab es damals auch parteiintern Gegenwind: Mit dem „Tolerieren“ antisemitischer Tendenzen müsse endlich Schluss sein, fand auch Vize-Parteichef Tom Watson. Drei prominente Labour-Lords aus dem Oberhaus hatten aus Protest die Partei verlassen, nachdem neun Abgeordnete bereits aus der Unterhaus-Fraktion ausgetreten waren.

 

Antijüdische Demonstrationen prägen das Land

Womit Keir Starmer, der mit einer Jüdin verheiratet ist, umgehen muss, ist der antijüdische Protest an britischen Universitäten. An mehreren Universitäten in Großbritannien finden immer wieder pro-„palästinensische“ Protestaktionen statt, die durchaus mit den Ausschreitungen in den USA vergleichbar sind. So gingen Studenten in den Städten Leeds, Newcastle und Bristol, aber auch in Manchester auf die Straße, um nach dem 7. Oktober gegen Israel zu protestieren. Ebenfalls wurden Zeltstädte vor den Universitätsgebäuden mit „palästinensischen“ Fahnen aufgebaut.

Der antijüdische Protest in Großbritannien ist landesweit. Auch in Lancaster, Swansea und Edinburgh wurden entsprechende Camps aufgebaut, die lose untereinander vernetzt sind. Auch Wirtschaftseinrichtungen wie das Department for Business and Trade wurden von den Studenten blockiert. Den Hass der heranwachsenden Akademiker hat auch Keir Starmer, als er noch Oppositionsführer war, am eigenen Leib gespürt. So organisierten die Aktivisten eine „Pro-Palästina-Demo“ vor dem Haus des Labour-Chefs. Drei Menschen wurden aufgrund aggressiven Verhaltens festgenommen.

 

Judenfeindliche Taten nehmen rasant zu

Die Aktivisten der Gruppe Youth Demand forderten die Sozialisten auf, sich für ein Ende britischer Waffenexporte an Israel einzusetzen. Vor seinem Wohnhaus hängten sie ein Plakat mit der Aufschrift „Starmer, stoppe das Morden“. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass der Protest auch damit zusammenhängt, dass Starmer mit einer Jüdin verheiratet ist, was den Protest besonders perfide und judenfeindlich macht.

Doch Starmer ist nicht allein. Im Sommer 2023 kam es immer wieder zu Protesten bei anderen prominenten Politikern, zum Beispiel beim damaligen Premierminister Sunak. So kletterten Greenpeace-Aktivisten auf das Dach von Sunaks Privathaus in seinem nordenglischen Wahlkreis und hatten das Gebäude teils mit schwarzen Planen verhüllt – aus Protest gegen die Klimapolitik des Premiers. Sunak und seine Familie waren nicht zugegen, sondern im Urlaub.

Doch nicht nur Proteste gegen Familienangehörige von Politikern nehmen zu, sondern auch Judenhass per se. Fälle von Antisemitismus haben sich in Großbritannien zwischen 2012 und 2020 verdoppelt und in den letzten drei Jahren sogar fast verdreifacht. Der jüngste Bericht des Antisemitic Incidents Report 2021 macht deutlich, dass im Jahr 2021 landesweit 2.255 antijüdische Verbrechen gemeldet wurden. Dies ist die höchste jährliche Gesamtzahl, die vom Community Security Trust (CST) jemals verzeichnet wurde, und stellt einen Anstieg um 34 Prozent gegenüber dem Vorjahr dar. Darüber hinaus ist es das erste Mal, dass CST mehr als 2.000 Vorfälle in einem einzigen Jahr registriert hat. Ein vorläufiger trauriger Höhepunkt: 2018 erwogen 44 Prozent jüdischer Briten auszuwandern, falls Corbyn an die Macht käme.

 

Neue Justizministerin gilt als BDS-Fan

Dies ist nun bei der Wahl in diesem Jahr nicht passiert. Doch inwieweit Starmer wirklich pro-jüdisch agiert, darf hinterfragt werden. Zwar sind mit ihm auch jüdische Abgeordnete ins Unterhaus eingezogen, allerdings auch Judenfeinde ins Kabinett. Zum Beispiel die neue Justizministerin und Lordkanzlerin Shabana Mahmood. Der Lordkanzler gilt als wichtigster Minister, ein Amt, das weitreichende Befugnisse innehat. Mahmood wurde als BDS-Aktivistin bekannt. So hatte die Frau mit pakistanischen Wurzeln bereits 2014 an antijüdischen Aufmärschen teilgenommen. Experten sehen in der Boykottbewegung ein Vehikel, um Antisemitismus salonfähig zu machen.

Genau in dieses Horn bläst die neue Justizministerin Englands: „Wir alle stimmen doch darin überein, dass die israelischen Siedlungen im Westjordanland nach dem Völkerrecht illegal und nicht Teil von Israel sind. Sie sind ein Hindernis für die Zwei-Staaten-Lösung und für einen dauerhaften Frieden zwischen Israel und Palästina“, machte sie 2014 deutlich. Im gleichen Jahr wurde sie übrigens als „Politikerin des Jahres“ ausgezeichnet.

 

Synagogen müssen geschützt werden

Von daher ist der pro-jüdische Bezug von Starmer nach Jahren des nackten Antisemitismus von Corbyn zwar ein positives Zeichen. Inwieweit dies jedoch nachhaltig ist, gerade auch im Bezug auf die immer düster werdende Stimmung in Großbritannien, was jüdisches Leben angeht, bleibt abzuwarten. In einem Interview mit der Tageszeitung "Daily Telegraph" äußerte sich die israelische Botschafterin im Vereinigten Königreich, Tzipi Hotovely, zu den steigenden antijüdischen Vorfällen in Großbritannien. So erhielt sie tatsächlich Nachrichten aus Israel, in denen Freunde fragten, ob sie sich in London noch sicher fühlen könne, ob Juden sich noch sicher fühlen könnten in der britischen Hauptstadt.

Bekannte von ihr sahen die gleiche dschihadistische Ideologie auf den Straßen Londons wie im Gaza-Streifen und fragten sich, was hier vor sich gehe. Die Zeile des Artikels im Daily Telegraph lautet: "Jewish people feel London is now less safe than Israel". Trauriger kann man das Verhältnis kaum beschreiben. Jake Wallis Simons, Herausgeber des „Jewish Chronicle“, drückt das so aus: „Wir hätten uns nicht vorstellen können, dass, bevor das Blut in Süd-Israel getrocknet war, bereits palästinensische Fahnen geschwenkt würden", so Wallis Simons im Podcast "Media Confidential".

Rund 280.000 Jüdinnen und Juden leben in Großbritannien. Das sind 0,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Fast die Hälfte von ihnen lebt in London. Vor Schulen, Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen sind verstärkt Polizeikräfte im Einsatz. Auch private Sicherheitskräfte müssen bemüht werden. Es erinnert an Deutschland, Schweden oder Frankreich. Viele Länder Europas scheinen wieder zu ihrer unrühmlichen, brutalen, weil judenfeindlichen Geschichte zurückzukehren.

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