Der singende Schneider – Ein Chasan mit Nadel und Zwirn
Allan Edelhajt in seinem Showroom in Berlin.
Der gebürtige Schwede Allan Edelhajt hat viele Talente. Er ist nicht nur ausgebildeter Opernsänger und springt bei Bedarf als Chasan in Berlin ein, sondern designt Maßkleidung für Mann und Frau. Die Jüdische Rundschau hat ihn in seinem Showroom in Berlin besucht. (JR)
Allan Edelhajt empfängt mich in seinem Showroom in Berlin Wilmersdorf. Er entstammt einer polnisch-jüdischen Familie, ist selbst in Göteborg in Schweden geboren und aufgewachsen.
Nachdem die Kommunistische Partei Polens 1968 ein Theaterstück verbieten ließ, eskalierten die studentischen Unruhen. Unter den Studenten befanden sich ebenfalls die Eltern von Allan Edelhajt. Der Vater ein angehender Ingenieur und die Mutter Medizinstudentin aus der oberschlesischen Stadt Gliwice, deutsch Gleiwitz.
Innerhalb weniger Wochen entwickelten sich Proteste, die überwiegend aus Intellektuellen bestanden, gegen die prosowjetische Regierung in Polen. Die beiden Wortführer Adam Michnik und Henryk Szlajfer, beide aus jüdischen Familien stammend, wurden am 8. März 1968 verhaftet. Hier mischte sich der überwiegend proletarische Kommunismus mit dem tradierten polnischen Antisemitismus, der die Forderungen nach Meinungsfreiheit schnell zu einer starken antisemitischen Kampagne werden ließ. Bereits seit dem Sechstagekrieg war das Verhältnis zwischen Israel und den arabischen Staaten, die vom Warschauer Pakt unterstützt wurden, angespannt. Schon im Jahr 1967 hatte Wladyslaw Gomulka, der Generalsekretär der polnischen Kommunisten, die polnischen Juden als „Fünfte Kolonne in unserem Land“ bezeichnet. Die schwedische Regierung bot damals politisch Verfolgten ein Ausbildungsprogramm an, um schnell einen Arbeitsplatz zu finden. Dieses nahmen die Eltern an. Der ältere Bruder ist noch in Polen geboren, Allan selbst bereits in Schweden. „Mit uns Kindern sprachen meine Eltern nur Schwedisch, unter sich Polnisch oder Jiddisch“.
On the road zwischen Musik und Zwirn
Doch was verschlägt einen Schweden in die deutsche Hauptstadt Berlin? „Ich habe nach meinem Abitur ein Stipendium erhalten, um an der Deutschen Oper in Berlin eine Ausbildung zum Opernsänger zu absolvieren. Nach Abschluss meiner Ausbildung zog es mich weiter ans Stadttheater Augsburg, wo ich drei Jahre gearbeitet habe. Nebenbei fungierte ich zusätzlich als Chasan, Vorbeter, in der Augsburger Synagogengemeinde.“
Doch es blieb nicht bei Augsburg, sondern Edelhajt hatte weitere Stationen in München, Mannheim und Frankfurt am Main, bevor es ihn dann schlussendlich wieder zurück nach Berlin zog. Hier in Berlin gründete er sein Unternehmen „Tailor on the Road“, sinngemäß übersetzt: „Schneider unterwegs“, denn Edelhajts zweiter Beruf ist der des Schneiders. Er fertigt Anzüge, Hemden, Blusen und Mäntel nach Maß an. Seine Kunden können zu ihm in den Berliner Showroom kommen, oder er bereist sie deutschland- und europaweit, entweder zu Hause oder in ihren Büros. Er geht dorthin, wo es am besten passt.
Anzüge und Mode generell sind eine von Edelhajts Leidenschaften. Aber die Geschäftsidee, Maßanzüge herzustellen und zu verkaufen, entstand aus der Notwendigkeit heraus, dass es sehr schwierig ist, vom Opernsingen allein zu leben. Als Opernsänger hatte er nicht genügend Auftritte, um seinen Lebensunterhalt ausschließlich damit bestreiten zu können. Bereits während seines Betriebswirtschaftsstudiums in Schweden hat er neben dem Singen im Einzelhandel gearbeitet. Etwas, was er dann später in den deutschen Städten, in denen er lebte, getan hat, etwa als Store-Manager oder als Personalverantwortlicher.
Liebe zum Detail
„Die Idee, mich selbstständig zu machen, ist schon früh in mir gereift. Ich sollte mit meiner Geschäftsidee dem Kunden stets besten Service und Qualität bieten. Ein Anzug hat sich dem Körper anzupassen und nicht umgekehrt der Körper dem Anzug. Wer einen Anzug von der Stange kauft, muss diesen evtl. doch noch ein paar Mal umändern lassen, doch meist passt dieser immer noch nicht richtig. Das Innenfutter und den Stoff kann man sich nicht aussuchen. Kurz gesagt: Mein Ziel ist es, Anzüge so anzubieten, wie es früher selbstverständlich war, und zwar mit Liebe zum Detail und einem guten Service.“
Ob das Jüdisch sein bei seinem Schneiderberuf eine Rolle spielt, kann er nicht genau beantworten, aber es ist ihm wichtig zu sagen, dass er Jude sei. „Ich komme aus einer traditionell-konservativen Familie, hier liegen meine Wurzeln und es ist mir eine Herzensangelegenheit, diese Traditionen zu leben und weiterzugeben.“
Allan Edelhajt in der jüdischen Gemeinde Chabad Berlin.
Nach seiner Tätigkeit als Chasan in Augsburg hat er dies in München gemacht, wo es sogar zur Aufnahme einiger CDs kam. Hier in Berlin besucht er regelmäßig die Gottesdienste in der Synagoge in der Joachimsthaler Straße. Er bezeichnet sich als kulturell und religiös jüdisch und findet es wichtig, dass diese Traditionen von der ganzen Familie weitergelebt werden. Inspirationen holt er sich auf Messen.
Individuelle Stilberatung
Doch da ich im Showroom bin, möchte ich natürlich wissen, wie so ein Maßanzug zustande kommt. Edelhajt sagt, dass es wichtig ist, den Kunden ein wenig kennenzulernen, um zu wissen, was zu diesem passe und was eben nicht. Im Smalltalk erfragt er den Beruf und zu welchem Anlass die Kleidung getragen werden soll. Somit versucht er herauszubekommen, welcher Stil zu einer Person passt.
Die Preise für einen Anzug fangen bei 979 Euro an und kennen nach oben keine Grenze. Die Höhe des Preises hängt natürlich von dem ausgewählten Stoff ab, aus dem dann die Hose und das Jackett gemacht werden. Wahlweise kann noch eine Weste dazu bestellt werden. Zu seinem Sortiment gehören neben Anzügen, Smokings und Mänteln Accessoires wie Hüte oder Hemden.
Für einen Anzug muss die Brustweite, der Umfang der Taille und des Gesäßes gemessen werden, um so die Sakkolänge zu ermitteln. Danach geht es mit der hinteren und vorderen Breite weiter. Außerdem dürfen auch das Bizepsmaß, die Schulterbreite sowie die Armlänge nicht vergessen werden. All diese Körpermaße sind wichtig, damit der Anzug später richtig sitzt.
Nachdem Allan meine Maße genommen hat, machen wir uns zusammen daran, einen Stoff auszusuchen. Hierbei kommt es neben der Farbe ebenfalls auf die Dicke des Stoffes an, je nachdem, ob man diese eher im Winter oder im Sommer tragen möchte.
Ich entscheide mich für einen schwarzen Anzug mit dickerem Stoff. Die Anfertigung wird ca. vier Wochen dauern. Zu seinem Service gehören auch die individuelle Stilberatung und die Lieferung des Produkts nach Hause. Edelhajt bringt mich noch zum Ausgang und bereitet sich auf das Fasten zum Yom Kippur vor. Wir verabschieden uns und ich kann es kaum erwarten, meinen fertigen Anzug anzuprobieren.
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