Der jüdische Umgang mit dem Tod: weltlich vs. orthodox

Der Autor beschreibt kenntnisreich die unterschiedlichen Ansätze der Juden bei der Verarbeitung des Todes.

Ein Jude betet vor einem Grab auf dem jüdischen Friedhof am Ölberg in Jerusalem.
© Emmanuel DUNAND / AFP

Von David Shishkoff (Israel Heute)

Vergangene Woche nahm ich an einer Beerdigung auf der großen Friedhofsanlage Yarkon bei Tel Aviv teil. Einige derjenigen, die mit dem Verstorbenen verbunden waren, waren Mitglieder der modernen, aufgeklärten, säkularen, freizügigen Musikszene von Tel Aviv. Andere, die dem Verstorbenen nahestanden, waren ultraorthodoxe religiöse Juden, die ebenfalls an der Beerdigung teilnahmen. Alle standen in einem Kreis um den Leichnam des geliebten Menschen, der in seinen 50-er Jahren von uns gegangen und nun in ein einfaches Tuch gehüllt war.

Der Kontrast zwischen den beiden Ansätzen, Sinn und Trost im Leben und im Tod eines Menschen zu finden, war ergreifend und verblüffend und wurde bei ein und derselben Beerdigung am selben Mikrofon nacheinander zum Ausdruck gebracht.

Die aus der säkularen Tel Aviver Szene sprachen von gemeinsamen Erfahrungen, musikalischer und anderer Art, die für immer in Erinnerung von Freunden und Familie bleiben.

Die Reaktion der Ultra-Orthodoxen angesichts der Tragödie und des Verlustes eines Menschen bestand in der Liturgie der Verehrung Gottes und der Bezugnahme auf ihn als den Richter der Wahrheit.

In der jüdischen Begräbnisliturgie wurde mehrmals zitiert: „Er aber war barmherzig und vergab die Schuld und vertilgte sie nicht; und oftmals wandte er seinen Zorn ab und erweckte nicht seinen ganzen Grimm.“ (Psalm 78:38)

Die „Tel Aviver“ Antwort auf den Tod bestand in der mutigen Behauptung, dass die menschlichen Leistungen und Erfahrungen für immer fortbestehen werden.

Die hebräische/jüdische Antwort auf die unvermeidliche Endgültigkeit bestand in Ehrfurcht und Demut vor einem unendlichen Gott und einem Tag der Abrechnung. So wird im Judentum das Ableben eines Menschen üblicherweise mit „Baruch Dayan HaEmet“ verkündet – „Gesegnet sei der Richter der Wahrheit“.

 

Die Sprache der Propheten

Bei dieser Beerdigung sang eine bekannte israelische Sängerin, die mit dem Verstorbenen befreundet war, Dana Berger, ein säkulares „Tel Aviv“-Lied namens „Schicke mir Ruhe“ (Shlach li sheket) auf Hebräisch. Außerdem wurde das übliche jüdische Begräbnisgebet „Kaddisch“ rezitiert.

Das „Tel Aviv“-Lied streckte die Hand aus, flehte um eine Atempause und sehnte sich nach Trost.

„Schick mir Ruhe… aus einem fernen Land… Schick mir Ruhe… Ruhe, Frieden und Gelassenheit bis zum Tag meines Todes.“ Es klang wie die Bitte einer aufgewühlten Seele um Gelassenheit, eine Bitte, mit dem Leben und seinem Ende in Frieden zu sein. (Das Lied bietet einen etwas anderen musikalischen Einblick in das geistige Klima Israels als andere, die wir in letzter Zeit gehört haben.)

Im Gegensatz dazu ist die hebräische/jüdische Antwort auf den Tod im Wesentlichen eine Anbetung, die den Fokus von der Trauer auf die Anerkennung und Lobpreisung Gottes lenkt (siehe das Gebet unten).

Mir fiel auf, dass beide Reaktionen, die weltliche und die religiöse, in der biblischen Sprache der Propheten ausgedrückt wurden. Es war eine Ironie des Schicksals, dass einige Gedanken, die in modernem Hebräisch reich komponiert und wunderschön ausgedrückt sind, so fremd und weit von den hebräischen Schriften entfernt sind – dem Ursprung der Sprache und dem Grund, warum sie heute noch weitgehend unverändert existiert. Irgendwie erinnerte mich das an das Lied „The Sound of Silence“ von Paul Simon, in dem es heißt: „Die Worte der Propheten sind auf die Wände der U-Bahn geschrieben.“

Das traditionelle jüdische Trauergebet Kaddisch (Heiligung), das vom Sohn des Verstorbenen ein Jahr lang (!) zweimal täglich wiederholt wird:

 

Erhoben und geheiligt werde sein großer Name

auf der Welt, die nach seinem Willen von Ihm erschaffen wurde –

sein Reich soll in eurem Leben in den eurigen Tagen und im Leben des ganzen Hauses Israel schnell und in nächster Zeit erstehen.

Und wir sprechen: Amen!

Sein großer Name sei gepriesen in Ewigkeit und Ewigkeit der Ewigkeiten.

Gepriesen sei und gerühmt, verherrlicht, erhoben, erhöht, gefeiert, hocherhoben und gepriesen sei Name des Heiligen, gelobt sei er, hoch über jedem Lob und Gesang, Verherrlichung und Trostverheißung, die je in der Welt gesprochen wurde,

sprechet Amen!

Fülle des Friedens und Leben möge vom Himmel herab uns und ganz Israel zuteilwerden,

sprechet Amen.

Der Frieden stiftet in seinen Himmelshöhen, stifte Frieden unter uns und ganz Israel,

sprechet Amen.

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