Die Thora-Krone von Hamburg und der Wiederaufbau der Bornplatz-Synagoge
In der Hamburger Gemeinde ist viel in Bewegung: Sie erhält nicht nur eine wertvolle Thora-Krone zurück, sondern baut auch ein neues Gotteshaus.
Blick von der Beneckestr. über Bornplatz und Binderstr. zur Synagoge mit Grindelhof (links), 1906© Menahem KAHANA / AFP
Die Jüdische Gemeinde Hamburg ließ 1906 eine Synagoge am heutigen Joseph-Carlebach-Platz errichten, die zur damaligen Zeit zu den größten Deutschlands zählen sollte, mit Platz für 1.200 Betende. Im November 1938 begannen die Plünderungen, die wir heute als Reichspogromnacht bezeichnen. In die Hamburger Synagoge am Bornplatz kommen Leute der SA und SS mit dem Ziel alle Wertgegenstände zu plündern. Furcht und Schrecken zu verbreiten und eine Spur der Verwüstung zu hinterlassen, reichte ihnen nicht aus. Um die Synagoge zu entweihen und die Gemeindemitglieder noch mehr zu schikanieren, urinierten die Nazi-Schergen auf die Thorarollen, also auf das mit Abstand Wertvollste, was ein jüdisches Gotteshaus zu bieten hat. Die Bornplatz-Synagoge war außerdem im Besitz von Thora-Schmuck, dessen Verbleib aber nicht geklärt werden konnte. Manchmal landeten diese Devotionalien in Museen, bei Antiquitätenhändlern oder Sammlern. Umso größer die Freude über eine kürzlich wiederaufgetauchte Thora-Krone.
Doch von vorne: Vor zehn Jahren meldete sich ein Antiquitätenhändler aus Hamburg bei der jüdischen Gemeinde und bot die Thora-Krone zum Kauf an. Solche verruchten Vorgänge sind leider keine Seltenheit, denn Judaica sind gerngesehene Ware in der Antiquitätenszene. Bei einem sorgsamen und aus teurem Material hergestellten Chanukka-Leuchter oder wie in diesem Fall bei der Thora-Krone, kann es passieren, dass den Händler und potentiellen Abnehmer weniger interessiert, ob die Ware auch auf legalen Wegen erworben wurde. So schildert es der Hamburger Unternehmer und Mitglied der jüdischen Gemeinde Hamburg, Daniel Sheffer (50), am Telefon. Da die Gemeinde nicht über die finanziellen Mittel verfügte, kam ein Kauf damals nicht zustande. Der Antiquitätenhändler fragte in den vergangenen Jahren regelmäßig bei der Gemeinde an, ob das Kaufinteresse weiterhin bestünde. Im Frühjahr dieses Jahres entschied sich die Gemeinde dazu, die angebotene Thora-Krone mal genauer unter die Lupe zu nehmen und man wurde fündig. Man kann den Ursprung der Krone anhand der Inschrift exakt zurückverfolgen. Dies ist möglich, weil der Stifter des Silberkunstwerks seinen eigenen und den Namen von Avraham Markus Hirsch auf Hebräisch eingravieren ließ. Avraham Markus Hirsch war der erste Rabbiner der 1906 geweihten Bornplatz-Synagoge.
Geld ausgeben für eine Sache, die rechtmäßig der Gemeinde sowieso gehört
Der Hamburger Rabbiner machte dem Antiquitätenhändler das Angebot, der Gemeinde die Krone gegen eine Spendenquittung zu überlassen. Ein Angebot, das der Händler jedoch ablehnte. So sah Sheffer keine andere Möglichkeit, als die Krone selbst zu erwerben und sie der Gemeinde zu spenden.
„Es war ein Wechselbad der Gefühle als ich die Thora-Krone in den Händen hielt. Zum einen war ich glücklich, dass wir sie zurückerhalten, auf der anderen Seite verspürte ich Wut, dass wir für etwas, das rechtmäßig uns gehört, auch noch bezahlen sollen.“
Ich versuche den Kaufpreis und Namen des Händlers aus ihm herauszukitzeln, doch da wir uns aufgrund von Corona nicht persönlich treffen, sondern miteinander nur telefonieren, war dies nicht möglich und an meinen telepathischen Fähigkeiten feile ich noch. Den genauen Preis verrät er mir nicht, aber soviel, dass es sich um einige Tausend Euro handelt. Obendrauf kommt noch einmal dieselbe Summe, denn die Thora-Krone befindet sich in keinem guten Zustand, und muss erst einmal restauriert werden.
Unterschriftenaktion
Daniel Sheffer ist auch Initiator der 80-tägigen Kampagne „Nein zu Antisemitismus – Ja zur Bornplatz-Synagoge“, die sich zum Ziel gesetzt hat bis zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 100.000 Online-Unterschriften für den Wiederaufbau der Synagoge im Grindelviertel auf der Webseite www.bornplatzsynagoge.org zu sammeln.
Diese begann am 9. November 2020, am Tag der Rückgabe der Krone an die jüdische Gemeinde, mit einer spektakulären Zeremonie auf dem Joseph-Carlebach-Platz. Das junge Gemeindemitglied Eve überreicht die Krone an den Rabbi Shmuel Havlin, während dieser das Totenlied „El Male Rachamim“ (Gott voller Erbarmen) anstimmt. 82 Jahre nachdem sie von den Nazis gestohlen wurde, kehrt die Thora-Krone wieder an ihren rechtmäßigen Platz zurück. Bis zum Wiederaufbau der Bornplatz-Synagoge und der vollständigen Restaurierung wird diese solange in der Synagoge an der Hohen Weide aufbewahrt werden.
„Plünderung, Zerstörung und Enteignung müssen enden! Bis heute ist die Stadt Hamburg im Kataster eingetragen. Der Wiederaufbau setzt ein positives Signal, nicht nur für unsere Gemeinde, sondern für alle Hamburger!“, sagt Sheffer.
Wir berichten vor ca. genau einem Jahr in dieser Zeitung über die Pläne der Gemeinde zum Wiederaufbau. Nach dem gescheiterten Attentat von Stephan Balliet auf die Hallenser Synagoge am 9. Oktober 2019, der nur durch die robuste Synagogentür – und leider nicht durch die Polizei – aufgehalten werden konnte, beschlossen alle Parteien der Hamburger Bürgerschaft einstimmig, dem Wunsch zum Wiederaufbau nachzukommen. Hierfür ist die Ausschreibung einer europaweiten Machbarkeitsstudie nötig. Diese muss eine Übersicht über den historischen Bau, eine vollständige Liste der Untersuchungsgegenstände und auch das Nutzungskonzept beinhalten. Daniel Sheffer meint dazu:
„Unsere Gemeinde hat ca. 2.500 Mitglieder, benötigt aber keine 1.200 Plätze wie die ursprüngliche Synagoge. Wir wünschen uns nicht eine bloße Religionsstätte, sondern eine Repräsentanz jüdischen Lebens in Hamburg für Hamburger. Menschen, seien es Schulklassen, Angestellte, Rentner oder wer auch immer, sollen sich eingeladen fühlen Juden kennenzulernen. Somit sollen Vorurteile gar nicht erst entstehen können.“
Der Bund hat hierfür bereits 600.000 Euro zur Verfügung gestellt, und auch wenn die Bürgerschaft ihre volle Unterstützung zusagte, tat sich eine geraume Zeit erstmal wenig bis gar nichts. Die Machbarkeitsstudie konnte nicht in Auftrag gegeben werden und Gelder wurden nicht bewilligt. Und in der Corona-Zeit befürchtete man, dass das Verständnis der Gesamtbevölkerung dafür große finanzielle Unterstützung in den Wiederaufbau zu stecken, schwinden könnte.
Doch dieser Wiederaufbau ist nun ein gutes Stück vorangekommen, um 65 Millionen Euro ist er vorangekommen, um genau zu sein. Am 27. November nahm der Haushaltsausschuss im Deutschen Bundestag den Wiederaufbau der Synagoge in die Maßnahmenliste zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Antisemitismus auf. Möglich wurde dies, indem entschieden wurde die Ausgaben für „Globale Mehrausgabe für Maßnahmen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus sowie zur Stärkung des interreligiösen Dialogs“ nochmals um 150 Millionen für 2021 bis 2024 zu erhöhen. Somit sind mit den 65 Millionen Euro knapp die Hälfte der Wiederaufbaukosten gesichert. Die restliche Summe muss die Freie und Hansestadt Hamburg aufbringen.
Somit ist der Weg nun frei, um die für den Wiederaufbau benötigte Machbarkeitsstudie europaweit auszuschreiben. Einen Zuwendungsantrag beim Bundesverwaltungsamt hatte die Gemeinde bereits im April gestellt, doch ein Ergebnis ist bisher nicht vorhanden.
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