Körper oder Seele – Griechen oder Perser: Der Unterschied zwischen Chanukka und Purim

Im jüdischen Kalender gibt es zwei Feiertage, welche einerseits sehr viel gemeinsam haben und dennoch sehr unterschiedlich sind: Chanukka und Purim. Beides sind Feiertage, welche in der Tora nicht erwähnt werden, weil sie erst viel später von den jüdischen Weisen als Erinnerung an eine außergewöhnliche Rettung des jüdischen Volkes angelegt wurden.

In Erinnerung an das Öl-Wunder wird an jedem Chanukka-Abend ein Licht (von insgesamt acht) mehr angezündet.© MENAHEM KAHANA / AFP

Von Dovid Gernetz

In beiden Fällen sah sich das jüdische Volk einem scheinbar unbesiegbaren Feind gegenüber und es schien, dass ihr Schicksal besiegelt war. Zwar unterschied sich die Art und Weise, wie sie gerettet wurden, aber das jüdische Volk schaffte es jedes Mal (mit G´ttes Hilfe), trotz seiner Unterzahl, den Feind zu besiegen und das böse Urteil abzuwenden.

Aufgrund dieser Gemeinsamkeiten wäre es zu erwarten, dass auch die Feiertage, welche an diese Ereignisse erinnern, gleich oder zumindest ähnlich gefeiert werden und sich die Tätigkeiten und Bräuche nicht besonders unterscheiden sollen.

Wenn man sich aber diese beiden Feiertage, Chanukka und Purim genauer ansieht und miteinander vergleicht, dann wird man sich sehr schnell vom Gegenteil überzeugen können.

Diese Feiertage sind so verschieden, dass es schwerfällt, überhaupt Ähnlichkeiten zwischen den beiden zu finden, und diese wenigen Gemeinsamkeiten sind sehr schnell aufgezählt:

An beiden Feiertagen wird aus der Tora ein thematisch passender Abschnitt gelesen und in den Gebeten wird das „Al HaNissim“-Gebet mit der entsprechenden Einfügung gesagt.

Die Liste der Unterschiede ist wahrlich ein wenig länger: An Chanukka wird das Hallel-Gebet gesprochen, um G´tt für die wunderbare Rettung zu danken. Es besteht keine Pflicht, eine feierliche Mahlzeit zu veranstalten, aber es herrscht eine spirituelle und erhobene Stimmung.

An Purim wird kein Hallel gesagt und es ist eine der hauptsächlichen Mitzwot (Gebote) des Tages eine große Mahlzeit zu veranstalten. Dabei wird reichlich Alkohol konsumiert, und es herrscht eine eher ausgelassene, fast schon an Leichtsinnigkeit grenzende Stimmung. Außerdem schickt man Mischloach Manot (Geschenke) an Freunde und Bekannte und unterstützt Bedürftige mit Matanot LeEvyonim (Spenden an Bedürftige).

 

Warum sind diese beiden Feiertage so verschieden?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns die Gefahr, in welcher sich das jüdische Volk an diesen beiden Feiertagen befand, genauer anschauen:

An Purim bzw. den Ereignissen, welche zu Purim geführt haben, wollte Haman das ganze jüdische Volk, Männer, Frauen und Kinder vernichten. Es machte keinen Unterschied, ob man das Judentum praktizierte oder nicht, und auch der Übertritt in eine andere Religion bzw. die Annahme der persischen Kultur hätte die Juden nicht vorm Tode bewahren können. Offenbar war die jüdische Abstammung der einzige Grund, warum Haman es auf das jüdische Volk abgesehen hatte. Somit handelte es sich bei der Purim-Geschichte um eine physische Gefahr und entsprechende Rettung.

 

Die Griechen sagten zum jüdischen Volk:

Schreibt [euch] auf dem Horn des Stiers, dass ihr keinen Anteil am G´tt Israels habt

(Medrasch Bereschit Rabba )

 

Beim Chanukka-Wunder ging es den syrisch-griechischen Erobern unter der Herrschaft von Antiochus IV. Epiphanes nicht um die physische Vernichtung des jüdischen Volkes. Wenn die Juden die hellenistische Kultur widerstandslos akzeptiert hätten, dann hätte man sie in Ruhe leben lassen. Erst nachdem sich die Makkabäer weigerten, die fremde Kultur anzunehmen, schickte Antiochus sein zahlreiches Heer, um den Widerstand mit Waffengewalt niederzuschlagen.

Auch die Gesetze, welche kurz nach der Eroberung durch die Griechen eingeführt wurden (Verbot von Schabbat, Rosch Chodesch und Brit Mila), richteten sich hauptsächlich gegen das Judentum als Religion und nicht als Nationalität.

Die Griechen führten einen ideologischen Krieg gegen das Judentum und versuchten mit allen Mitteln, das jüdische Volk von der Praktizierung und dem Studium der Tora abzuwenden.

Obwohl die Makkabäer vom physischen Tod gerettet wurden, war es dennoch hauptsächlich der Sieg des Lichts des Judentums gegen die hellenistische Dunkelheit.

Der Levusch (Rabbi Mordechai Yaffe, 1530-1612) erklärt, dass dieser grundlegende Unterschied der Grund dafür ist, dass diese auf den ersten Blick so ähnlichen Feiertage, auf solch verschiedene Art und Weise gefeiert werden:

An Purim befand sich das jüdische Volk in der physischen Gefahr vernichtet zu werden, sodass die Rettung entsprechend gefeiert wird:

Daher manifestiert sich die Freude an Purim, indem man eine große Mahlzeit mit reichlich Alkohol veranstaltet und den Körper „verwöhnt“. Auch die anderen Mizwot von Purim, wie Mischloach Manot und Matanot LeEvyonim, dienen diesem Zweck, Freude, Bekannte und Bedürftige mit physischen Geschenken zu erfreuen, um an die physische Rettung des jüdischen Volkes zu erinnern.

An Chanukka hingegen herrscht eine erhobene und spirituelle Stimmung, weil die Griechen die Auslöschung der „Seele“ des jüdischen Volkes, also des jüdischen Glaubens anstrebten. Daher wird auch die Rettung als „Feiertag der Seele“ gefeiert, das Hallel-Gebet wird täglich gesprochen und es besteht keine Pflicht eine feierliche Mahlzeit abzuhalten.

Wenn wir uns noch ein wenig in diesen fundamentalen Unterschied zwischen diesen Feiertagen vertiefen, dann werden wir sehen, dass er auch in der Ursache der jeweiligen Bedrohung zu finden ist, denn laut dem Konzept Mida Kneged Mida (wörtlich „Maß für Maß“) in der jüdischen Philosophie entspricht die Strafe von G´tt stets der Sünde und anhand der Strafe lässt sich erkennen, weshalb die Bestrafung herbeigeführt wurde:

 

Unsere Weisen lehren (Talmud Megilla 12a), dass der persische König Achaschwerosch alle seine Untertanen zu einem riesigen königlichen Bankett einlud und auch die Juden gehörten zu den geladenen Gästen. Das geistige Oberhaupt des jüdischen Volkes, Mordechai, verbot es seinen Volksgenossen an diesem Bankett teilzunehmen, weil der Anlass des Banketts, in milden Worten, nicht sehr judenfreundlich war. Denn der Grund für die Freude war, dass das jüdische Volk nach 70 Jahren des Babylonischen Exils noch immer nicht erlöst und der Zweite Tempel nicht erbaut wurde (Achaschweroschs Sohn Koresch ermöglichte es den Juden später, ins Heilige Land zurückzukehren und den Zweiten Tempel aufzubauen). Als Zeichen dafür, dass das jüdische Volk nicht zurückkehren und der Tempel nicht wiedererbaut wird, wurden bei der Feier die heiligen goldenen Gefäße aus dem Tempel verwendet und König Achaschwerosch trug die Kleider des Kohen Gadol (Hohepriester).

 

Juden nahmen an der anti-jüdischen Feier der Perser teil

Eine signifikante Anzahl von Juden missachtete Mordechais ausdrückliches Verbot, nicht an der anti-jüdischen Feier teilzunehmen und sie amüsierten sich dort sogar.

Weil es sich um eine physische Sünde handelte, war auch die Bestrafung entsprechend und so sollte das jüdische Volk physisch vernichtet werden.

Im Gegensatz dazu, war die „Sünde“, welche zur Unterdrückung durch die Griechen geführt hatte, nicht physisch. Der Bach (Abkürzung für den Namen des Werkes Beit Chadash, Rabbi Joel Sirkis 1561-1640) erklärt, dass das jüdische Volk die Erfüllung der Mizwot und das Studium der Tora mit weniger Enthusiasmus absolvierten, weil es in ihren Augen nicht mehr so wertvoll und wichtig erschien. Entsprechend war die Strafe, welche G´tt schickte, die potenzielle spirituelle Auslöschung des jüdischen Glaubens und dies konnte nur dadurch abgewendet werden, dass sie bereit waren, ihre Leben für den jüdischen Glauben aufzuopfern.

Jetzt verstehen wir, dass bei beiden Feiertagen die Sünde, die Rettung und die Art und Weise daran zu erinnern zusammenhängt. Unsere Aufgabe heutzutage ist es, an diesen Feiertagen nicht nur Hamantaschen und Sufganiyot (Doughnuts) zu essen und mit dem Sevivon (Dreidel) zu spielen, sondern uns in die Essenz des Feiertags zu vertiefen und zu verstehen, welche Botschaft wir für uns mitnehmen können!

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