Pessach Scheni – Es gibt immer eine zweite Chance

© Claude Truong-Ngoc / Wikimedia Commons

„Es ist niemals zu spät, es gibt immer eine zweite Chance", dies ist die Botschaft von Pessach Scheni. Es betrifft das von der Tora verordnete „Zweite Pessach" und ist bedacht für jene, die am ursprünglich vorgesehenen Datum diese Gelegenheit verpasst haben, das Pessachlamm als Opfersymbol darzubringen. (JR)

Von Naftali Silberberg

Warum sollen wir nicht weinen, wenn die Milch verschüttet ist?

"Pessach Scheni", das "Zweite Pessach" wird am Vierzehnten des Monates Ijar gefeiert. Der Ursprung dieses Halbfesttages ist faszinierend. Am ersten "Geburtstag" des Auszuges aus Ägypten, als fast alle Juden mit der Vorbereitung des Lammes für die jährliche Opferdarbringung zum Pessachfest beschäftigt waren, kam eine Gruppe sich gerade in Unreinheit befindender Juden zu Moses. Sie waren über ihre Ausschließung von dieser Mizwa der Pessachlamm-Darbringung sehr unglücklich und klagten: "Warum sollen wir benachteiligt werden und dürfen diese spirituelle Freiheit, die uns die Teilnahme an der Pessachlamm-Darbringung gewährt, nicht erleben?" Moses war einverstanden, ihre Beschwerde G-tt vorzulegen, und der tief empfundene Wunsch dieser kleinen Gruppe führte dazu, dass Er die Tora um eine Mizwa erweiterte: Der Schöpfer gab Anweisung, dass ab diesem Jahr alle Juden, die am 14. Nissan an der Pessachlamm-Darbringung verhindert sind, z.B. wegen Unreinheit oder allzu großer Entfernung vom Tempel, das Pessachlamm genau einen Monat später, nämlich am 14. Ijar, darbringen sollen.

 

Jeder Feiertag ist einzigartig

Jüdische Festtage sind keine Gedenkfeiern historischer Ereignisse, sondern sie sind die wieder-in-Szene-Setzung spiritueller Dimensionen. Kein Feiertag ist dem anderen ähnlich, jeder einzelne Feiertag charakterisiert sich durch seine spezielle, spirituelle Energie und damit die Gelegenheit, uns mit Inspiration und der nötigen, geistigen Kraft auf einem spezifischen Gebiet unserer Beziehung zu G-tt zu verstärken. Zu Pessach bekommen wir die Kraft, uns von unserer naturbedingten Versklavung durch unsere Impulse und zerstörerischen Angewohnheiten zu befreien; zu Schawuot dringen wir in den Kern der Tora und verpflichten uns erneut, durch das Studieren Seiner Tora uns mit G-tt zu verbinden; zu Sukkot füllen wir die Kammern unseres Herzens mit wahrer Freude auf. Wir rüsten uns mit diesen besonderen spirituellen Kräften, so dass sie ein Jahr ausreichen, bis sich der Feiertag wiederholt. Die spezifischen und jedem Fest eigenen Mizwot geben uns als Werkzeug die Möglichkeit, die spirituellen Energien, die zu dieser Zeit besonders verfügbar sind, in uns aufzunehmen.

Unverzüglich nach Pessach lernen wir ein äußerst wichtiges Prinzip, das auch für die übrigen Feiertage des Jüdischen Kalenders gilt: Pessach wurde auf ein verbindliches Datum festgelegt. Doch wer diese Gelegenheit aus irgendeinem Grund verpasst hat und nicht von den besonderen Vorteilen dieses Fest profitieren konnte, kann ein privates Pessach bekommen, wenn er sich aufrichtig nach der für Pessach charakteristischen G-ttlichen Nähe sehnt.

Pessach nachholen

Der Kabbala zufolge sind diese beiden Monate eigentlich sehr gegensätzlich: Nissan ist ein Monat mit vorherrschender G-ttlicher Güte, - der Monat, in dem Haschem sogar diejenigen, die es nicht verdienten, erlöst. Ijar ist dagegen ein Monat der Disziplin und der Selbstverbesserung, - der Monat, in dem wir die Tage des Omers zählen und mit dem Ausbügeln unsere Charakterzüge beschäftigt sind, um der im nächsten Monat erfolgenden Tora-Übergabe würdig zu werden. Und so kann jeder Jude, der sich wahrhaftig nach dem vermissten Erlebnis der Erlösung des Monats Nissan sehnt, diesen Feiertag im Ijar nachholen.

Pessach Scheni will uns lehren, dass es niemals zu spät ist. Wir sollen uns nie mit Gedanken plagen, wie z.B. dass „alle anderen Ägypten schon vor Wochen verließen und auf dem Weg zur Tora sind, aber meine spirituelle Reise begann noch nicht! Ich bin noch immer unrein!" Wir haben keinen Grund zur Verzweiflung, denn wir können immer noch unseren Weg abkürzen und uns der Gemeinde anschließen, die sich von jeglicher Versklavung gelöst hat, und nun würdig zur Tora-Übergabe an Schawuot ist.

Es hat keinen Sinn, über verschüttete Milch zu weinen, wenn es bei G-tt einen unerschöpflichen Vorrat gibt, der jederzeit unter der Bedingung zugänglich ist, dass wir wirklich durstig sind und Ihm dies auch mitteilen.

Mögen wir bald dazu privilegiert sein, Moschiach in unserer Mitte zu empfangen. Mögen wir bald die Möglichkeit haben, das Pessachlamm im Dritten Heiligen Tempel von Jerusalem darzubringen, wenn wir von allen Unreinheiten befreit sein werden und unsere große Entfernung zu G-tt nicht mehr besteht.

 

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Eine zweite Chance

Von Yanki Tauber

"Es ist niemals zu spät, es gibt immer eine zweite Chance." Dies ist Rabbi Josef Jizchak Schneersohn, des sechsten Lubawitscher Rebbe (1880-1950) zufolge die Botschaft von Pessach Scheni. Es betrifft das von der Tora verordnete "Zweite Pessach" und ist bedacht für jene, die am ursprünglich vorgesehenen Datum die Gelegenheit verpassten, das Pessachlamm darzubringen.

Wir können die Aussage: "Es gibt immer eine zweite Chance" generell auf alle Lebenslagen beziehen, um so aufgewühlte Geister zu beruhigen. Doch was hat die in jede Sammlung passende Aufmunterung mit unserem Alltag zu tun? Zu diesem Thema habe ich mich bei meinen Nachbarn erkundigt:

"Tja," antwortete meine Nachbarin Sarah L., "ich habe gestern den 18:22 Uhr Zug verpasst und verbrachte 35 Minuten auf der Bahnstation, in der es nur eine zwei Tage alte Zeitung gab. Wäre ich pünktlich zu Hause gewesen, hätte ich die Zeit bei einer Gute-Nacht-Geschichte mit meiner Tochter verbringen können. Heute werde ich den Zug hoffentlich erreichen, doch die gestern verlorene Zeit wird niemals zurückkehren."

"Tja," antwortete Jeffery H., ein erfolgreicher Rechtsanwalt, "vor zwanzig Jahren kannte ich ein wunderbares Mädchen, das ich gerne geheiratet hätte. Ich war bereits im Begriff ihr zu sagen, was ich wollte, - und ich wusste, sie würde zusagen. Doch dieser Augenblick ging vorüber, und ich habe ihr keinen Heiratsantrag gemacht. Trotzdem bereue ich es nicht, denn heute bin ich mit einer anderen, wunderbaren Frau glücklich verheiratet. Doch was jenen Augenblick betrifft, wird er niemals zurückkehren, jedenfalls nicht in diesem Leben."

 

Ins Richtige verändern

Was meinen wir damit, wenn wir von einer "zweiten Chance" reden? Ist das die Fähigkeit, in eine Kapsel zu steigen, in die Vergangenheit zu reisen, unser damaliges, verirrtes Selbst auf die Seite zu drängen, um jetzt das zu tun, was uns richtig scheint? Und wo liegt der "Vorteil" der zweiten Chance, wenn dem so ist? Wäre das Richtige zu tun, nicht von vornherein besser gewesen? Was gibt es an diesem die "zweite Chance" symbolisierenden Fest überhaupt zu feiern?

Der Begriff der Tschuwa ("Rückkehr"), den uns die Tora lehrt, bedeutet nicht nur das Korrigieren und Ausbügeln von Irrtümern aus der Vergangenheit, sondern sie kann die Vergangenheit ins Richtige verändern. So beeinflusst die Tschuwa die Bedeutung und Auswirkungen des Geschehenen in solcher Weise, dass ein noch besseres Endresultat herauskommt, - und zwar so, als hätten diese Ereignisse nie stattgefunden und wir "von Anfang an das Richtige“ getan.

Sarah L.: "Im Grunde genommen, wenn ich ehrlich bin, - selbst wenn ich den Zug erreicht hätte, wäre ich bei der versprochenen Gute-Nacht-Geschichte nicht bei der Sache gewesen und hätte sie schnellstens beendet. Meine Gedanken waren gestern Abend eh ganz woanders. Doch durch den verpassten Zug und mein nicht eingehaltenes Versprechen, verstand ich plötzlich, wie sehr mich meine Tochter braucht – nicht nur meine physische Gegenwart, sondern auch meine Aufmerksamkeit und meine Geistesgegenwart. Heute Abend werde ich auf ihrem Bett sitzen und mit ihr reden, etwas, das wir schon lange nicht mehr getan haben."

Jeffery H.: "Im Grunde genommen ist meine Ehe eigentlich das Beste, was mir je hätte passieren können. Ich bin davon überzeugt, dass die Frau, die ich geheiratet habe, schon von Anfang an für mich bestimmt war, und sie die einzige Person ist, die zu mir passt. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr sehe ich in jener 'verpassten Gelegenheit' eine ständige Herausforderung, diese Intensität des Sehnens und der Hoffnung, die ich damals empfand, auch in unserer eigenen Beziehung zu erleben, und sogar in einem viel stärkeren Ausmaß. Ich sage mir immer: „Wenn ich dazu fähig war, eine solche Lebhaftigkeit an Gefühlen in jener verpassten Beziehung zu erleben, wie viel mehr sollte ich sie jetzt in einer wahren Beziehung empfinden! So verliebe ich mich jedes Mal von neuem in meine Frau!"

 

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