Das chassidische Motiv des Selbst als verborgener Schatz

© MOSTAFA ALKHAROUFAN ADOLU AGENCY Anadolu via AFP

Von der Aktivismus-orientierten Welt wird uns oft suggeriert, man müsse alles tun, um seine Erfüllung zu finden. Doch es geht vielmehr darum, zu seiner Erfüllung zurückzukehren. Die Selbsterkenntnis wird in folgender Geschichte als verborgener Schatz dargestellt, man sucht ihn in der Ferne, findet ihn aber meist in oder bei sich selbst. (JR)

Von Rabbiner David Kraus

Rabbi Nachman erzählt uns die Geschichte von einem armen, gottesfürchtigen Juden, der in einem polnischen Dorf lebte.

Eines Nachts träumte er, dass unter einer Brücke in Wien ein großer Schatz auf ihn warte. Gleich am nächsten Morgen packte der Chassid seinen Rucksack mit seinem Tallit und seinen Tefillin, ein paar Klamotten und ein wenig Essen. Dann machte er sich auf den langen, langen Weg nach Wien.

Dort angekommen, Jackpot! Er fand die Brücke und begann sofort zu graben. Plötzlich stellte sich ihm ein Wiener Polizist in den Weg: „Hey Jude! Was heckst du hier aus? Was gräbst du hier im Boden herum?“ Der Chassid schwieg einen Moment lang und überlegte. Vielleicht könnten er und der eifrige Polizist ja Partner werden? Schließlich ist ein halber Schatz besser als gar keiner! Also erzählte er dem Polizisten von seinem Traum.

„Nur ein Jude interessiert sich für Träume!", lachte der Polizist. „Drei Nächte hintereinander habe ich geträumt, dass in einem bestimmten Dorf ein gewisser Jude lebt, der einen Schatz unter seinem Ofen vergraben hat.“ Der Chassid konnte seinen Ohren nicht trauen. Ihm war klar, dass der Polizist über ihn und sein Haus sprach. „Was schaust du mich mit so großen Augen an?“, fragte der Polizist: „Denkst du etwa, ich glaube an solche Dummheiten und habe mich jetzt deswegen auf die lange Reise nach Polen gemacht? Dummer Jude, verschwinde endlich von hier, bevor dich noch jemand festnimmt…“

Der Chassid dankte dem Polizisten und machte sich auf den langen Heimweg. Dort angekommen, schob er sofort den Ofen beiseite und begann zu graben. Und tatsächlich stieß er auf einen riesigen Schatz: „Ich hatte den Schatz wirklich die ganze Zeit bei mir. Aber um ihn zu finden, musste ich bis nach Wien gehen!“

 

Was bedeutet das?

Ich dachte zunächst, dass es in dieser Geschichte darum geht, seine Erfüllung zu finden. Doch das stimmte nicht! Es geht darum, zu seiner Erfüllung zurückzukehren.

Ständig höre ich Sprüche wie: Das Leben ist eine Reise, geh die Leiter hoch, spring ins Wasser, schwimme gegen den Strom...  

Die Aktivismus-orientierte Innovationsstrategie für ein zufriedenes Leben fordert von uns verdammt viel ab: "reise, gehe, springe, schwimme ..." Oft fehlt uns die Kraft, so aktiv zu sein, wir sehnen uns nur nach einer Sache: Ankunft! Wir wollen endlich ankommen und die Schuhe ausziehen. Oder wie Pu der Bär sagt: “Zu Hause ist da, wo ich nicht meinen Bauch einziehen muss.”

In der Geschichte Rabbi Nachmans wird die Selbsterkenntnis als verborgener Schatz dargestellt, in einer anderen als Edelstein, manchmal in einer Vielzahl anderer Formen.

Hinter all diesen Metaphern verbirgt sich eine tiefe und wertvolle Wahrheit über die menschliche Existenz. Es ist eine Wahrheit über die Natur des menschlichen Selbst. Im Kern eines jeden von uns gibt es ein Element, ein Bewusstsein, das einzigartig und kostbar ist. Wir sind eine Seele mit einem Körper und nicht umgekehrt.

 

Kokologie

Der japanische Psychologe und TV-Quizmaster Tadahiko Nagano thematisiert das mit seinem Kollegen Isamu Saito in der „Kokologie“, dem Studium der „Kokoro", das auf Japanisch "Geist" bedeutet. Weltweit wurde das zu einem sehr populären Spiel der Selbsterkenntnis.

Unter Verwendung von Theorien von Freud und Jung liegt der Schwerpunkt auf der Analyse der Tiefenpsyche, welches auf das Strukturmodell des Geistes abzielt.

 

Der Cube-Test

Schritt 1

Stell dir vor, Du bist in einer Wüste.

Wie groß ist diese Wüste? Klein, weitläufig oder endlos?

 

Schritt 2

Nun entdeckst du einen Würfel.

Wie groß ist er? Welche Farbe hat er? Leuchtet er? Aus welchem Material ist er? Und wo genau befindet er sich? Ist er im Sand vergraben? Liegt er auf dem Sand? Oder schwebt er vielleicht in der Luft? Bewegt er sich?

 

Schritt 3

Nun entdeckst du auch noch eine Leiter…

Aus welchem Material ist sie gemacht? Wie hoch ist sie? Wo befindet sie sich im Verhältnis zum Würfel?

Schritt 4

Stell dir nun auch ein Pferd vor.

Wie weit ist es vom Würfel und der Leiter entfernt? Bewegt es sich? Wenn ja wohin? Wie sieht es aus? Ist das Pferd angebunden oder läuft es frei herum? Trägt es einen Sattel?

 

Schritt 5

Stell dir nun vor, dass es in dieser Wüste nicht nur Sand gibt, sondern auch Blumen.

Wie viele siehst du? Wie sehen sie aus? Wo sind die Blumen in Relation zum Pferd, zum Würfel, zur Leiter und dem Sand?

 

Schritt 6

Plötzlich beginnt ein Sturm…

Ist er weit weg oder ganz nah? In welche Richtung weht der Wind? Regnet es? Stört der Sturm das Pferd, die Blumen, den Würfel oder die Leiter?

 

Japanischer Würfeltest - Auflösung

Schritt 1

Die Wüste symbolisiert dein Leben, und deine Sicht der Welt.

 

Schritt 2

Der Würfel stellt dich selbst dar!

Die Größe des Würfels steht für dein Selbstbewusstsein - klein = kleines Selbstbewusstsein, groß = großes Selbstbewusstsein.

Das Material, aus dem der Würfel besteht, steht für deine Gefühle und die Art von Fassade, die du aufbaust. Wenn er transparent ist, neigst du dazu, deine Gefühle ehrlich zu zeigen. Wenn er undurchsichtig ist, verbirgst du Teile von dir selbst vor dem Großteil der Welt.

Die Position des Würfels steht für gewisse Eigenschaften. Ist er im Boden vergraben, bedeutet das, dass du wohl gerne Dinge organisierst und vorausdenkst.

Liegt er auf dem Boden? Dann bist du wahrscheinlich ein praktischer Mensch, der sich selbst gut kennt und weiß, was er vom Leben will.

Ist er in Bewegung? Ist davon auszugehen, dass du über den Tellerrand hinaus denkst und nicht immer bereit dazu bist, dich Kategorien und Stereotypen zu fügen.

Hängt er schwebend in der Luft, kann das bedeuten, dass du eine künstlerische Persönlichkeit bist mit großer Kreativität.

 

Schritt 3

Die Leiter symbolisiert deine Familie und deine Freunde!

Stützt sich die Leiter auf den Würfel? Dann siehst du, dass deine Lieben sich auf dich verlassen und du deinen Lieben nahe bist und Probleme mit ihrer Hilfe löst.

Befindet sich die Leiter unterhalb des Würfels? Nehmen dich deine Lieben wahrscheinlich als Führungspersönlichkeit und Autoritätsperson wahr.

Befindet sich die Leiter auf der gleichen Ebene wie der Würfel, seid ihr gleichberechtigt.

Befindet sich die Leiter oberhalb des Würfels, siehst du deine Lieben als die maßgeblichen Personen in deinem Leben.

Ist die Leiter groß und hoch oder klein und niedrig? Dies bestimmt, wie wichtig diese Beziehungen für dich sind und ob du einen kleinen oder großen Freundeskreis hast.

 

Schritt 4

Das Pferd ist ein Symbol für deinen idealen Partner!

Ist das Pferd groß und stark, wünscht du dir einen zuverlässigen Partner, auf den du dich verlassen kannst. Wenn du dir einen Pegasus oder ein Einhorn vorstellst, träumst du von jemandem, den du nie haben wirst, oder von einer Berühmtheit.

Wenn es gefesselt ist, deutet das auf das Bedürfnis hin, in einer Beziehung die Kontrolle zu haben.

Wenn es einen Sattel hat, fühlst du dich bei ihm sicher; wenn nicht, haltest du deinen Partner für unkontrollierbar und unberechenbar. Oder es ist ein Zeichen dafür, dass ihr es versteht, gegenseitig Rücksicht zu nehmen.

Wenn das Pferd sich vom Würfel entfernt, dann fühlst du dich von deinem Partner entfernt bzw. weit entfernt von deinem Wunschpartner.

 

Schritt 5

Blumen stehen für deine Kinder!

Die Anzahl der Blumen zeigt an, wie viele Kinder du dir wünscht, oder was Kinder dir bedeuten.

Befinden sich die Blumen in der Nähe des Würfels, zeigt dies, dass du dir eine enge Beziehung zu deinen Kindern wünschst; wenn sie sich nicht in der Nähe des Würfels befinden, ist dir die Entfernung zwischen dir und deinen Kindern nicht besonders wichtig.

 

Schritt 6

Der Sturm zeigt deine Ängste!

Ist er weit weg, lebst du dein Leben mit wenig Sorgen.

Ist er in deiner Nähe, bist du bereit, dich dem zu stellen, was vor dir liegt.

Wenn er direkt über dir ist, hast du das Gefühl, dass deine Sorgen dich gerade überwältigen.

Wenn er vorübergeht, hast du bereits einige Prüfungen und Schwierigkeiten überstanden.

Wenn er "heftig" ist, starker Wind, viel Donner und Blitz, haben diese Hindernisse einen großen Einfluss auf dein Leben gehabt.

Wenn es regnet, neigt man dazu, zu weinen, wenn man ein gewisses Maß an Wut, Sorge oder Glück erreicht hat.

Fazit: Allein die Tatsache, dass du lebst, zeigt, wie ungemein wichtig du bist. Gott liebt dich! Er liebt dich so, als wärest du sein einziges Kind. Unsere Weisen lehren: „Jeder muss zu sich selbst sagen, ‚Die Welt wurde für mich erschaffen‘“ (Sanhedrin 37a). Ich bin also der Grund, warum Gott die ganze Welt erschaffen hat. Ich habe also einen Wert, ja, ich bin wichtig, und ich kann der gute Mensch sein, der ich sein möchte.

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