Reine Nervensache

Paar- und Familientherapeut Rabbi David Kraus erklärt uns mit alltäglichen Geschichten aus dem Leben, wie wir, auch in herausfordernden Zeiten, Mut und Zuversicht schöpfen können.

In seinem Buch „Der fröhliche Rabbi“ erzählt Rabbi Kraus, wie sich die Widrigkeiten des Lebens zu Quellen des Glücks umwandeln lassen.


Von Rabbiner David Kraus

Eine kleine Geschichte aus dem Alltag: Ich traf einen alten Bekannten auf der Straße und fragte ihn wie es ihm geht. “Ja wie soll es mir schon gehen, bei dieser Weltlage!“, antwortete er.

Okay, also wenn ein “Wie geht es Dir” als blöde Frage deklariert wird, dann scheint auf der Welt was los zu sein.

Corona, Lockdowns, Preise gehen nach oben, Krieg in der Ukraine und diese Aufzählung scheint endlos weiter zu gehen.

Menschen haben Angst und dadurch auch Angst vor der Angst und dies führt zur Panik. Ein echter Teufelskreis.

Kennst du den Film: Reine Nervensache? Darin ist Paul Vitti (gespielt von Robert De Niro) der mächtigste Mafiaboss in New York; ein Mann im Visier seiner Feinde.

Bei einer Besprechung bekommt Paul auf einmal Herzrasen, beginnt zu Schwitzen, hat Harndrang und Atemnot – Herzinfarkt!

Im Krankenhaus lautet die Diagnose aber: Panikattacke. Bevor der Arzt nun zusammengeschlagen wurde sagte Paul Vitti noch: „Angst- und Panikattacke? Was soll der Quatsch. Sehen sie mich an Doc! Sehe ich aus wie ein Typ, der in Panik gerät!?“

Ein grandioser Therapeut für kognitive Verhaltenstherapie (CBT) im talmudischen Zeitalter war der große Rabbi Akiva.

Der Talmud (Brachot 60B) lehrt, dass Rabbi Akiva stets zu sagen pflegte: “Alles was Gott tut, tut Er zum Guten”.

Durch dieses Mantra war Rabbi Akiva in der Lage, stets den richtigen Blickwinkel zu bewahren und sich selbst in den frustrierendsten und verwirrendsten Zeiten vor der Angst zu schützen.

Der Talmud berichtet dazu von einem sagenhaften Ereignis. Rabbi Akiva war unterwegs und wollte in einem Dorf übernachten, doch dort wurde ihm die Unterkunft verweigert und deshalb war er gezwungen, im nahen gelegenen Wald zu schlafen.

Anstatt nun wütend zu reagieren, erklärte Rabbi Akiva: Alles was Gott tut, tut er zum Guten.

Zu dieser Zeit waren Rabbi Akivas einzige nennenswerte Besitztümer sein Reise-Esel, sein Hahn, der ihm als primitiver Wecker diente, um ihn im Morgengrauen zum Morgengebet zu wecken, und eine Kerze, die ihn nachts mit Licht zum Studieren versorgte.

Bei Einbruch der Nacht blies ein Wind die Kerze von Rabbi Akiva aus. Als er in der Dunkelheit saß, dauerte es nicht lange, bis sein Huhn von einer Katze und sein Esel von einem Löwen gefressen wurden, worauf der Rabbi sofort antwortete: Alles was Gott tut, tut Er zum Guten.

Als Rabbi Akiva am nächsten Morgen aufwachte, stellte er zu seiner großen Empörung fest, dass eine riesige Armee die Dorfbewohner gefangen genommen hatte, und hätte man ihn nicht so unverschämt aufgefordert das Dorf zu verlassen - und wäre sein Licht nicht ausgeblasen oder sein Hahn und sein Esel nicht über Nacht gefressen worden - dann wäre er höchstwahrscheinlich auch selbst gefangen genommen worden.

Der berühmte irakische Rabbiner des 19. Jahrhunderts, der Ben Isch Chai, stellt zu dieser Geschichte eine brillante Frage: Ist nicht mit Sicherheit davon auszugehen, dass Rabbi Akiva eine Laterne hatte, um seine Kerze vor dem Wind zu schützen? Er antwortet mit den Worten, dass Rabbi Akiva ganz sicher vorbereitet war und dass die Tatsache, dass sein Licht durch den Wind sogar durch den Schutz der Laterne gelöscht wurde, eindeutig ein Wunder war. Aber wo ein normaler Mensch durch das Erlöschen seines Lichts wütend wird und sein eigenes Pech verantwortlich macht, genau hier rief Rabbi Akiva: Alles was Gott tut, tut Er zum Guten, denn er sah dieses unnatürliche Ereignis als die Hand Haschems an, die eine wundersame Rettung vorbereitet.

Durch die Anwendung dieser grundlegenden Prinzipien des Judentums und der CBT bewahrte Rabbi Akiva nicht nur seinen inneren Frieden, sondern erlebte dann auch, dass alles tatsächlich zum Guten war.

Wie können wir also vermeiden, mit den falschen Arten von Gefühlen zu operieren, und unsere Emotionen auch unter den schwierigsten Umständen zu beherrschen?

 

1. Bitte um göttliche Führung

Der Glaube an den einen und einzigen Gott, an Haschem, ist unsere rettende Kraft in unseren dunkelsten Momenten.

Die Entwicklung einer gesunden Beziehung mit dem Ewigen hilft uns, unsere Hindernisse leichter zu überwinden. Denn wenn wir an eine höhere Kraft glauben, glauben wir auch an die Macht des göttlichen Eingreifens, welche uns zeigen wird, was wir tun müssen, wir also auch lernen werden, warum etwas geschieht und so vertrauen wir dann auch stets darauf, dass Haschem uns sogar aus einer bestimmten unerwünschten Situation sicher retten wird.

Rabbi Nachman rät uns, dass immer dann, wenn wir mit Emotionen belastet sind, ähnlich dem Schema Gebet, wir an G-tt denkend ganz stark die Augen schließen und dabei mit unseren Fingern auf die Augen drücken sollen, so verbinden wir uns wieder mit dem der alles kann, mit unserem uns über alles und immer bedingungslos liebenden Vater im Himmel… danach lass deine Augen weiter geschlossen und stell dir eine positive Lösung für dein Problem vor und bitte Haschem, dir den besten Weg zu zeigen.

Wenn du deine Augen dann wieder öffnest, wirst du Haschem ganz nah bei dir wissen und trau dich mit Ihm einen Schritt weiter:

 

2. Etikettiere deine Emotionen

Frag dich selbst: Wie fühle ich mich? Nicht um diese Gefühle jetzt sofort zu ändern, sondern um anzuerkennen, was man im Moment erlebt: Bin ich nervös? Fühle ich mich enttäuscht? Bin ich traurig?

Denke daran, dass sich hinter Wut manchmal Gefühle verbergen, die sich verletzlich anfühlen - wie Scham oder Verlegenheit. Achte also genau darauf, was wirklich in dir vorgeht.

Gib deinen Emotionen einen Namen. Denke daran, dass du vielleicht ein ganzes Bündel von Emotionen auf einmal empfindest - du kannst zum Beispiel gleichzeitig ängstlich, frustriert und ungeduldig sein.

Wenn wir unsere Gefühle benennen, kann das den Emotionen viel von ihrem Biss nehmen. Es kann uns auch helfen, sich genau zu merken, wie diese Gefühle wahrscheinlich unsere Entscheidungen beeinflussen.

 

3. Reframe deine Gedanken

Unsere Emotionen beeinflussen die Art und Weise, wie wir Ereignisse wahrnehmen.

Ersetze also deine Gedanken durch andere. Negative Emotionen binden uns an wiederkehrende negative Gedanken, wodurch Zyklen von negativen Mustern entstehen. Wann immer du mit einer Emotion konfrontiert wirst, die dich etwas Schlechtes fühlen oder denken lässt, zwinge dich sie aus deinem Geist zu stoßen, indem du sie durch einen anderen Gedanken ersetzt. Stell dir die ideale Lösung für dein Problem vor, denke an jemanden, der dich glücklich macht, oder erinnere dich an ein Ereignis, das dich zum Lächeln bringt.

Manchmal ist der einfachste Weg, eine andere Perspektive zu gewinnen, einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen: "Was würde ich zu meinem Kind sagen, wenn es dieses Problem hätte?” Die Beantwortung dieser Frage wird einige der Emotionen aus der Gleichung nehmen, so dass man rationaler denken kann.

 

4. Finde ein gesundes Ventil

Emotionen sollten niemals in Flaschen abgefüllt werden. Ruf jemanden an oder gehe zu jemandem, dem du vertraust, erzähle ihm, wie es dir geht.

Eine andere Meinung als deine eigene zu hören, erweitert das Bewusstsein.

Führe ein Tagebuch und übertrage deine Emotionen aus deinem Inneren auf das Papier. Viele Menschen finden es hilfreich, sich mit Krav Maga oder anderem Kampfsport zu beschäftigen, um ihre Gefühle zu entladen.

Andere meditieren und singen, um in einen ruhigen Seinszustand zurückzukehren. Ich empfehle die Hitbodedut, das Herzensgespräch allein mit Haschem in der Natur.

Führe die Aktivität aus, die für dich am besten geeignet ist, um dein Wesen von aufgestauten Gefühlen zu befreien.

 

5. Sieh das Gesamtbild

Jedes Ereignis in unserem Leben, ob gut oder schlecht, dient einem höheren Zweck. Weisheit bedeutet, in der Lage zu sein, über den Moment hinaus zu sehen und die größere Bedeutung jeder gegebenen Situation zu erkennen. Am Anfang wirst du es vielleicht nicht verstehen, aber mit der Zeit wirst du beginnen, das größere Bild zu sehen, das sich in eine perfekte Ordnung fügt. Selbst inmitten eines emotional aufwühlenden Moments solltest du darauf vertrauen, dass es einen ultimativen Zweck gibt, den du bald begreifen wirst.

Schließlich passiert alles nicht Dir, sondern für Dich! Und alles Negative passiert auch nicht um bei Dir zu bleiben, sondern um weiter zu ziehen.

Jetzt hast du genügend Material, um eine Welt zu bauen, wie sie dir gefällt. Viel Glück dabei und reichlich Gottes Segen.

 

Rabbiner David Kraus ist Paar- und Familientherapeut und Autor von: „Der fröhliche Rabbi und verschlungenen Wege zum Glück“, Knaur 2021

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