Pessach Scheni: Die zweite Chance

Frühling im Negev

Wer zum Pessach-Fest kein Opfer darbringen konnte, bekommt von G´tt am Pessach Scheni eine weitere Gelegenheit.

Von Rabbiner Elischa M. Portnoy

Die Feiertage, so wie die Menschen, haben ihre eigenen Schicksale. Chanukka und Purim sind bekannt und beliebt, obwohl sie nicht in der Tora erwähnt sind, der „Zweiter Pessach“ (Pessach Scheni) ist dagegen wohl nur für orthodoxe Juden ein Begriff, auch wenn dieses Fest in der Tora ausdrücklich beschrieben ist.

Was wird denn am „zweiten“ Pessach gefeiert und warum hören wir heutzutage so wenig davon?

 

Die Entstehung

Die Geschichte des „Pessach Scheni“ ist im Wochenabschnitt „Bahaalotcha“ (Buch Bemidbar 9:6-14) beschrieben.

In zweitem Jahr nach dem Auszug aus Ägypten sollten die Juden in der Wüste das Pessach-Fest feiern, was auch gemacht wurde. Jedoch gab es einige Menschen, die aus bestimmten Gründen Pessach nicht wie vorgeschrieben feiern konnten, weil sie das Pessach-Lamm weder opfern, noch essen durften: „Es gab aber Männer, die unrein waren durch die Leiche eines Menschen, und sie konnten nicht das Pessach opfern an diesem Tag und sie traten vor Mosche und vor Aharon an diesem Tag“.

Also, diese unreinen Personen sind mit der Situation, dass sie beim Pessach-Fest nicht richtig mitfeiern dürfen, unzufrieden und kommen zu den Anführern des jüdischen Volkes Mosche und Aharon, um zu reklamieren: „Und jene Männer sprachen zu ihm: wir sind unrein durch die Leiche eines Menschen, warum sollen wir ausgeschlossen werden, dass wir nicht darbringen das Opfer für HaSchem zu seiner Zeit unter den Kindern Jisrael?“

Diese Frage scheint eigentlich unpassend zu sein, denn schon davor, im 3.Buch Moses „Wajikra“ wurde mehrmals betont, dass rituell unreine Personen heiligen Opfer (Korbanot) nicht mal anfassen dürfen, ganz zu schweigen sie zu essen.

Erstaunlicherweise erzählt uns die Tora, dass unser großer Lehrer Mosche mit dieser Frage überfordert wurde: „Und Mosche sprach zu ihnen: wartet, dass ich höre, was G‘tt euretwegen gebietet“.

Und G’tt gibt tatsächlich ein neues, bis jetzt unerwähntes Gesetz: „Und G‘tt redete zu Mosche: Sprich zu den Kindern Jisrael: So jemand unrein sein wird durch eine Leiche, oder auf weiter Reise ist, bei euch oder bei euren Nachkommen, so opfere er das Pessach für G‘tt: Im zweiten Monat am vierzehnten Tage gegen Abend sollen sie es opfern, mit ungesäuertem Brote und bitteren Kräutern sollen sie es essen. Sie sollen nichts davon übrig lassen bis zum Morgen, und keinen Knochen an ihm zerbrechen, nach der ganzen Satzung des Pessach sollen sie es opfern. Aber der Mann, der rein ist und nicht auf der Reise ist und unterlässt es, das Pessach zu opfern, diese Person werde ausgerottet aus ihren Stämmen; denn das Opfer von G‘tt hat er nicht dargebracht zu seiner Zeit, seine Sünde trage derselbe Mann“.

Der zweite Monat, der hier gemeint ist, ist der jüdischer Monat Ijar, in dem wir uns jetzt befinden. Das heißt, dass genau ein Monat nach dem Pessach, den wir alle in Nissan gefeiert haben, gibt es im darauffolgenden Monat für bestimmten Personen ein „zweites“ Pessach-Fest.

Um die Bedeutung dieses merkwürdigen Feiertages zu verstehen, soll man zuerst die oben beschriebene Erzählung in der Tora verstehen, die viele Fragen aufwirft. Wer waren diese Männer? Warum ihre Frage doch legitim war? Warum wusste Mosche nicht sofort die Antwort auf ihr Anliegen? Und warum hat G’tt deswegen ein neues Gesetz gegeben?

 

Hinter den Kulissen der Geschichte

Unsere Weisen geben anhand der Überlieferung spannende Einblicke in diese Erzählung. Es gibt mehrere Meinungen, wer diese Männer waren, die zu Mosche gekommen waren. Entweder waren es diejenigen, die das Grab mit den sterblichen Überresten von Josef haTzaddik trugen. Oder waren es Mischael und Eltzafan, die die Überreste von Nadav und Avihu (Söhne von Aharon, die im Heiligtum verbrannt wurden) heraustrugen. Andere sagen, es waren Männer, die eine unbekannte Leiche gefunden haben und sie selbst begraben haben. Auf jeden Fall waren es gute Menschen, die mit einem Gebot (Mitzwa) beschäftigt waren.

Und worin genau bestand ihre Frage? Wie es aussieht, haben die Männer etwas Bestimmtes gemeint, etwas nicht Triviales, so dass sogar Mosche die Antwort nicht wusste.

Der 7.Ljubawitscher Rebbe, Rabbi Menachem Mendel Schneersohn (1902-1994) gibt darauf eine sehr tiefsinnige Antwort. Diese guten Männer fragten Mosche, ob das Pessach-Lamm, das am Pessach-Fest dargebracht und gegessen werden sollte, nicht der „Korban“ (heiliger Opfer) ist, sondern vielleicht „Sewach“ (ein Opfer mit einem niedrigeren Status). Dann hätten die rituell reinen Priester das Lamm für sie geopfert und die unreinen Männer hätten dann am Pessach selbst dieses Lamm auch in ihrem aktuellem Zustand doch noch essen können. Und genau das wusste Mosche nicht: ist dieses Pessach-Lamm, das man in der Wüste (und nicht im Land Israel) opfert (um beim Seder-Abend zu essen), tatsächlich schon Korban (weil Mischkan schon gebaut wurde), oder noch „Sewach“, weil man das Heilige Land noch nicht betreten hat?

Auch die Antwort von G’tt hatte es in sich: ja, das ist leider schon Korban, deshalb dürfen diese Menschen das Lamm tatsächlich weder opfern noch essen. Jedoch hat G’tt die Mühe dieser ehrenhaften Männer nicht unbelohnt gelassen. Weil sie so sehr das Gebot von Pessach erfüllen wollten, wurde ihre Mühe mit einem neuen Gebot belohnt! Sie (und viele weitere Menschen danach) haben die zweite Chance bekommen! Das bedeutet, dass wenn der Tempel noch stand und die Pessach-Opfer dargebracht wurden, konnten Menschen, die es ohne eigene Schuld verpasst haben, das Pessach-Lamm am 14.Nissan zu opfern, dieses Lamm einen Monat später am 14.Ijahr doch noch opfern und das Pessach in „abgespeckter“ Form feiern.

 

Das „kleine Pessach“

Heutzutage haben wir leider keinen Tempel, können keine Opfer bringen und entsprechend feiern wir das Pessach-Fest ohne Pessach-Opfer. Deshalb ist für uns dieser „Pessach Scheni“ rein technisch irrelevant. Dieser Tag heißt heute „Pessach Katan“ (kleiner Pessach) und wird nur noch von orthodoxen Juden von anderen Tagen unterschieden. An diesem Tag wird kein „Tahanun“ (Buße-Gebet) gesagt und viele Chassidim essen an diesem Tag Matza an die Erinnerung an die Zeit, als der Tempel noch stand.

Doch auch wenn wir heutzutage dieses Fest nicht feiern können, hat es trotzdem eine enorme Wichtigkeit für uns. Denn alles, was in der Tora steht, hat auch spirituelle Bedeutung und diese Bedeutung gilt für alle Menschen in allen Generationen unabhängig von den Umständen.

Und die Idee, die hinter dem „kleinen Pessach“ steht, ist klar und deutlich: G’tt ist immer bereit uns eine zweite Chance zu geben. Es geht hier vor allem um die Dinge, die wir hätten machen können, jedoch verpasst haben. Ob es um ein Gebot (Mitzwa) handelt, oder um eine gute Tat gegenüber Mitmenschen oder um Hilfe für Bedürftige. Oft wissen wir, dass wir es tun können oder sogar sollen, aber es klappt irgendwie nicht. Deshalb zeigt uns G’tt den Tag vom „kleinem Pessach“ und sagt uns damit: „versucht es nochmal. Ich werde euch schon die Gelegenheit dazu geben“.

In diesem Jahr wird Pessach Scheni am Sonntag, 15.Mai gefeiert. Lasst uns dieser Tag zum Nachdenken nutzen, was wir Positives für diese Welt machen können, jedoch noch nicht dazu gekommen sind. Es ist nie zu spät. Wir müssen nur wollen und G’tt wird schon dafür sorgen, dass wir die Möglichkeit dazu nochmal bekommen.

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