Die Feier der Geheimnisse

Was am Lag baOmer gefeiert wird und was dieser Tag für jeden von uns persönlich bedeutet.

Von Rabbiner Elischa M. Portnoy

Das Lag baOmer-Fest, das wir am 19. Mai dieses Jahres feiern, ist ein sehr beliebtes Fest. Die größte Freude bringt wohl sogar nicht das Feiern selbst, sondern die Vorbereitung dafür. Der Name des Festes „Lag BaOmer“ bedeutet nichts anderes als der 33. Tag vom Omer. Und was ist „Omer“? Es gibt ein Gebot der Tora, als der Tempel noch stand, eine Garbe von Gerste nach dem ersten Tag des Pessachs darzubringen: „Sprich zu den Kindern Jisrael und sprich zu ihnen: So ihr in das Land kommt, das ich euch geben werde, und darin Ernte haltet: so bringt ein Omer von den Erstlingen eurer Ernte zu dem Priester. Und er schwinge das Omer für G‘tt, dass es euch gnädig aufgenommen werde; den Tag nach der Feier soll es der Priester schwingen“.

Nach dieser Opferung sollte man sieben Wochen bis zum Schawuot-Fest zählen: „Und zählen sollt ihr vom anderen Tage nach der Feier an, von dem Tage, da ihr gebracht das Omer der Schwingung, (dass es) sieben volle Wochen seien. Bis zum anderen Tage nach der siebenten Woche sollt ihr fünfzig Tage zählen, und darbringen ein Speiseopfer vom Neuen für G’tt“. Und deshalb ist, rein technisch gesehen, Lag baOmer nichts anderes, als der 33. Tag dieser Zählung.

Und was soll an diesem Tag so besonders sein, dass ausgerechnet da gefeiert werden soll? Dafür sind zwei denkwürdige Ereignisse in der jüdischen Geschichte verantwortlich.

Vor ca. zwei Tausend Jahren lebte in Israel ein berühmter Rabbiner, Rabbi Akiwa. Er war ein außerordentlicher Weise der Tora und ein begabter Lehrer, so dass er zu einem bestimmten Zeitpunkt 24.000 Schüler hatte. Tragischerweise starben alle diese Schüler nach einem Pessach innerhalb weniger Wochen und das Ende dieser Epidemie war, laut der Überlieferung, genau der 33. Tag der Omer-Zählung.

Wenn man diese Erklärung liest, ist nicht ganz klar, was es zu feiern gibt, wenn doch alle Schüler hingeschieden sind. Deshalb bringt Maharil (Rabbi Jakob ben Moses haLevi Molin aus Mainz) eine andere Erklärung: das Sterben ging vom Pessach und bis Schawout. Jedoch an einigen bestimmten Tagen (wie Chol haMoed Pessach, Schabbat und Rosch Chodesch) starb niemand. Insgesamt gab es 32 Tage, an denen einer der Schüler von Rabbi Akiwa starb. Deshalb feiern wir den 33. Tag als das Ende der Trauer.

Die Bedeutung der Zahl 18

Es gibt aber auch eine ganz andere Erklärung für die Besonderheit des Tages. Es gab ein großer jüdischer Gelehrte, Rabbi Schimon bar Jochai (Raschbi), der das größte kabbalistische Werk „Zohar“ (Glanz) verfasst hatte. Er ist, laut Überlieferung, am 18. Ijar gestorben und der 18. Ijar ist immer der 33. Tag des Omer-Zählens.

Es stellet sich jedoch auch die Frage, warum das Ableben eines großen Tora-Weisen gefeiert werden sollte?! Eigentlich ist der Tod von einem großen Rabbi ein großer Verlust für das ganze jüdische Volk und sollte beweint werden. Als wir in der Tora über das Hinscheiden von Mosche Rabejnu lesen, steht dort, dass er dreißig Tage beweint wurde! Auch wir haben mit eigenen Augen das Hinscheiden von großen Rabbonim in Israel erlebt und niemand kam auf die Idee einen Feiertag daraus zu machen.

Die Erklärung ist, dass es beim Ableben von Rabbi Schimon bar Jochai anders war. Bei seinem Sterben hat er seinen Schülern die tiefsten Geheimnisse des mystischen Teils der Tora offenbart, das Wissen, die sie nie zuvor gehört haben. Raschbi soll dabei selber gesagt haben, dass er auf diesen Tag sein ganzes Leben gewartet hat. Auch soll er selbst angeordnet haben, dass an seinem Sterbetag gefeiert werden, und nicht sein Hinscheiden, sondern der Tag seines Triumphes (Vollenden seines Lebenswerkes). Und deshalb ist der Lag baOmer nicht seine Jorzeit (Gedenktag), sondern „Hilula deRaschbi“ – seinen Ehrentag.

Interessanterweise gibt es eine versteckte Verbindung zwischen diesen zwei Erklärungen für den Grund des Feierns am Lag baOmers. Wir können uns kaum vorstellen, wie sich der große Rabbi Akiwa fühlte, als alle seine Schüler innerhalb von Wochen verstarben. Doch auch wenn er natürlich niedergeschlagen war, gab er nicht auf. Der Talmud berichtet, dass er aufstand, nach Süden ging und fünf neue Schüler fand. Diese fünf Schüler wurden diejenigen, die uns die ganze mündliche Tora überliefert haben. Und einer dieser fünf Schüler war gerade der Rabbi Schimon bar Jochai.

Aus diesen beiden Erklärungen sehen wir, dass der 18. Ijar im jüdischen Kalender ein ganz besonderer Tag ist. Schon die Zahl „18“ hat es in sich. In Hebräisch werden Zahlen durch Buchstaben symbolisiert. Die Zahl 18 wird mit Buchstaben „jud“ und „hej“ geschrieben, die wiederum das Wort „haj“ – „Leben“ erbeben. Außerdem wird in Kabbala gelehrt, dass es sieben Sefirot (Kanäle) gibt, durch deren unsere Welt von G’tt „geführt“ wird. Diese Sefirot sind: Chessed (Gefälligkeit), Gewura (Stärke), Tiferet (Schönheit), Netzach (Sieg), Hod (Pracht), Jesod (Grundlage), und Malchut (Königtum). Jede von dieser sieben Sefirot kommt in alle anderen sieben Sefirot vor. Dabei entstehen neunundvierzig Kombination dieser Sefirot, zum Beispiel Chessed im Chessed, Chessed in Gewura usw. Und deshalb entspricht jeder der neunundvierzig Omer-Tage einer von dieser neunundvierzig Sefirot-Kombinationen. Und, wie man es schon vermuten könnte, entspricht dem 33. Tag von Omer (Lag baOmer) der Kombination Hod im Hod (Pracht in Pracht). Die Sefira Hod hat einen engen Bezug mit der Kabbala und die Verdopplung dieser Sefirot ist ein starker Hinweis darauf, dass dieser Tag voller Mystik und Geheimnissen der Tora ist.

Entsprechend diesen Erklärungen entstanden zahlreiche Traditionen, die mit Feiern von Lag baOmer zu tun haben.

 

Traditionen rund um Lag baOmer

Nach der ersten Erklärung enden Trauervorschriften, die unsere Weisen für die Zeit von Pessach bis Lag BaOmer in Erinnerung an den Tod der Schüler verfügt haben: man darf wieder Haare schneiden, Musik hören, Hochzeiten veranstalten usw. In manchen Gemeinden werden diese Vorschriften am Lag BaOmer nur pausiert, danach gelten sie bis zum 1. Siwan weiter.

Viel mehr Bräuche gibt es im Bezug auf die zweite Erklärung, den „Ehrentag der Rabbi Schimon bar Jochai“. Da es viel Licht der Tora bei seinem Ableben leuchtete, gibt es in Israel den sehr verbreiteten Brauch, große Lagerfeuer zu zünden. Dabei werden die größten Feuerstellen am Berg Meron in Galil gezündet, dort, wo die Grabstätte von Raschbi ist. Diese Feuerstellen sind so groß, dass sie von Weitem zu sehen sind. Auch in anderen Orten werden Feuer gezündet, dabei haben Kinder große Freude daran, schon mehrere Tage davor Zündholz zu sammeln.

Außerdem werden an diesem Tag viele Kerzen (vor allem in den Synagogen in Israel) zu Ehren von Raschbi gezündet, damit es so hell wie möglich wird. Viele singen an diesem Tag spezielle Pijutim (Loblieder), die dem großen Rabbi gewidmet sind.

Ein weiterer verbreiteter Brauch, auch außerhalb des Landes Israel, ist das Bogenschießen. Es gibt mehrere Erklärungen für diesen Brauch. Im Buch „Bnej Issachar“ wird erklärt, dass an einem Lag baOmer im Himmel ein Regenbogen in einer besonderen Farbe erscheint und die Erlösung verkündet. Auf Hebräisch heißen Regenbogen und Schießbogen gleich - Keschet. Deshalb spielen besonders Kinder am Lag baOmer gern mit dem Bogen.

Ein sehr alter Brauch ist auch den 3-jährigen Jungs am Lag baOmer die Haare zum ersten Mal zu schneiden. Diese Zeremonie heißt in Israel „Halake“ („Opschernisch“ auf Jiddisch). Viele Väter bringen ihre kleine Jungs extra nach Meron, um dort diese, für die Erziehung des Kindes wichtige, Zeremonie zu feiern.

Und sogar nicht religiöse bzw. traditionelle Juden in Israel haben dieses Fest lieb: es ist schon zum Brauch geworden, dass an diesem Tag in Israel überall gegrillt wird. Und gerade das zeigt einmal mehr, dass das Licht des Lab baOmers so stark ist, dass jeder dieses Licht spürt und seine Freude daran hat.

Unsere Aufgabe ist es, dieses Licht zu nutzen und uns und unsere Kinder für die jüdische Tradition zu begeistern. Deshalb hat der 7. Ljubawitscher Rebbe Rabbi Menachem Mendel Schneersohn einen neuen Brauch eingeführt: es werden Kinderparaden veranstaltet, wo die jüdischen Kinder Freude und Stolz für unsere Tradition erleben können. Und das ist auch, wofür der 33. Tag des Omer-Zählens – Lag baOmer heutzutage steht: Freude, Licht und auch ein wenig Mystik.

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