Sukkot: Die Botschaft der Sukka
Warum wohnen wir sieben Tage in einer Laubhütte?
Leopold Pilichowski: Sukkot, 1894/95, Jüdisches Museum New York© WIKIPEDIA
Mit dem Schließen der himmlischen Tore bei Neila, der Klimax des jüdischen Versöhnungstages Jom Kippur, enden die Tage des Gerichts und der Furcht und es beginnen die fröhlichen Tage von Sukkot, dem Feste der Freude, wie es steht: „Und freust dich mit deinem Fest [Sukkot]” (Devarim Kap.16, Vers 14)
Eine der Mitzwot (Gebote) am Sukkot ist das Sitzen bzw. Wohnen in einer Laubhütte („Sukka“ auf Hebräisch), daher der Name Sukkot (=Die Laubhütten).
In der Tora werden dieser Feiertage folgendermaßen beschrieben:
„In den Hütten sollt ihr sieben Tage wohnen, wer in Israel eingeboren ist, sollen alle in Hütten wohnen. Damit eure Nachkommen es wissen, dass in den Hütten Ich Israels Söhne habe wohnen lassen, als ich sie aus dem Land Ägypten führte; Ich bin G´tt, euer G´tt!”
(Vaikra Kap.23, Vers 42-43)
Von welchen Hütten ist hier die Rede?
Im Talmud gibt es eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Gelehrten, von welchen Hütten in diesem Vers die Rede sei. Laut der einen Meinung sind damit echte Laubhütten gemeint, die G´tt in der Wüste für das jüdische Volk baute, um sie vor der brennenden Sonne der Wüste zu schützen. Als Andenken daran sitzen wir ebenfalls in Laubhütten, um G´tt für seine Barmherzigkeit gegenüber unseren Vorvätern zu danken.
Die Wolken der Ehre
Andere Gelehrte sind der Ansicht, dass es überhaupt keine Laubhütten in der Wüste gegeben hat und mit den „Hütten“ die „Wolken der Ehre“ gemeint sind.
Dabei handelte es sich um eine Art Wunder-Wolken, die das jüdische Volk von allen Seiten umgaben und verschiedene Funktionen erfüllten:
Hauptsächlich dienten sie dem Schutz des jüdischen Volkes vor Feinden und wilden Tieren, waren aber, dem Medrasch (Sammlung rabbinischer Schriften) nach, auch für die Reinigung der Kleidung zuständig.
Warum feiern wir Sukkot nicht im Frühling, sondern im Herbst?
Ob es nun Laubhütten oder Wunder-Wolken in der Wüste waren, aus dem zitierten Vers geht klar hervor, dass wir am Sukkot in einer Sukka sitzen, um uns daran zu erinnern, wie sich G´tt in der Wüste um unsere Vorväter gekümmert hat.
In der Tora steht, dass G´tt unsere Vorväter kurz nach dem Auszug aus Ägypten in diesen „Hütten“ hat wohnen lassen, und der Auszug aus Ägypten war bekanntlich im Frühling
(Das Fest Pessach, das den Auszug aus Ägypten markiert, fällt auf den jüdischen Monat Nissan, also mitten im Frühling).
Hier stellt sich die offensichtliche Frage: Wenn das jüdische Volk im Frühling in diesen „Hütten“ saß, sollten wir dann Sukkot, welches daran erinnert, nicht ebenfalls im Frühling kurz nach Pessach feiern statt im Herbst?
Generell bedarf es einer Erklärung, welcher Gedanken dahintersteht, dass das jüdische Volk am Sukkot ihre warmen und sicheren Häuser verlässt und sieben Tage in einer kalten und wackeligen Hütte verweilt.
Eine ermutigende Botschaft
Rav S.R. Hirsch (Choreb Kap.30, Seite 124) erklärt, dass sich dahinter eine sehr wichtige und ermutigende Botschaft an das jüdische Volk verbirgt:
Zu diesem Zeitpunkt im Herbst waren die Menschen in der Regel damit beschäftigt, den Ertrag von den Feldern einzuholen. Für die meisten Menschen war Landwirtschaft und Ackerbau die einzige oder hauptsächliche Einnahmequelle, sodass es jeweils von der Ernte abhing, ob man bis zur nächsten Saison in Ruhe und Wohlstand lebte, oder von Hunger und Armut geplagt sein würde.
Ein Mensch, der keinen Glauben bzw. Vertrauen in G´tt hat, wird, wenn die Ernte erfolgreich ausfällt, den Erfolg seiner Intelligenz und Anstrengung zuschreiben. Wenn die Ernte jedoch schlecht ausfällt und der Ertrag gering ist, dann bleibt diesem Menschen nichts anderes als Verzweiflung, weil es keine Hoffnung und Stütze gibt.
So ein Mensch lebt mit der Einstellung „Meine Kraft und die Mächtigkeit meines Armes hat mir dieses Vermögen geschaffen“ (Devarim Kap.8, Vers 17). Solange man gesund ist und das Geschäft gut läuft, verleiht diese Einstellung dem Menschen ein Gefühl des Stolzes und der Selbstzufriedenheit. Sobald das Leben aber nicht mehr so läuft, wie man es sich wünscht, sei es Krankheit (Epidemien!), finanzielle Probleme o.Ä., dann lastet die ganze Bürde auf dem Menschen und viele werden von dieser Last seelisch zerdrückt.
An Sukkot befiehlt uns G´tt unsere stabilen Häuser zu verlassen und sieben Tage in einer Hütte zu leben, durch deren Dach wir die Sterne erkennen können. Sobald wir uns in einer wackeligen Laubhütte befinden und eventuell Regen und Kälte ertragen müssen (falls es zu stark regnet, ist es erlaubt die Sukka zu verlassen), dann schauen wir hinauf zum Himmel (oder zu den Sternen, je nach Tageszeit) und verstehen, dass nicht wir die Fäden der Welt in unseren Händen halten, sondern alles nach G´ttes Plan und Vorhersehung verläuft und er die Lage unter Kontrolle hat.
„Alles, was G´tt tut, ist zum Guten“
Nicht immer verstehen wir, warum gewisse Dinge passieren und oft fällt es uns schwer das Gute darin zu sehen, aber unsere Weisen lehren (Brachot 60b): „Alles, was G´tt tut, ist zum Guten“.
Diese Einsicht spendet dem Menschen Trost und erfüllt ihn mit Hoffnung, weil er weiß, dass er nicht alleine ist und es einen barmherzigen G´tt gibt, auf welchen er vertrauen kann und welcher ihm helfen wird.
Befreit Vertrauten in G´tt den Menschen von aller Verantwortung?
Dies bedeutet nicht, dass der Mensch keinen Finger rühren muss und die ganze Zeit gemütlich auf dem Sofa sitzen kann, mit der Behauptung, dass er auf G´tt vertraut und dieser ihn mit allem Nötigen versorgen wird. Dazu gibt es eine amüsante Anekdote:
Ein Jude hatte einst eine g´ttliche Prophezeiung, dass er den Jackpot knacken und über Nacht zum Multimillionär werden wird. Am Tag der großen Entscheidung musste er jedoch enttäuscht feststellen, dass jemand anderes das große Los gewonnen hat. Verbittert wandte er sich an G´tt und fragte ihn: „Hattest du mir nicht versprochen, dass ich den Jackpot knacken werde?“ Darauf antwortete ihm G´tt: „Das habe ich. Aber hast du auch ein Los gekauft, um an der Lotterie teilzunehmen?”
Die Aufgabe und Verantwortung des Menschen ist es, alles, was in seiner Macht steht, zu tun und sich anzustrengen, aber das Ergebnis hängt nicht mehr vom Menschen ab. Wenn der Mensch erfolgreich ist, dann nur, weil G´tt möchte, dass er Erfolg hat und wenn nicht, dann gehört es ebenfalls zu G´ttes Masterplan.
Auf jeden Fall gibt es keinen Grund zur Verzweiflung, weil wir glauben, dass auch Misserfolge und Niederlagen zu unserem Guten sind. Manchmal erkennen wir dies sofort, manchmal erst später.
Jetzt können wir auch verstehen, warum es zu Sukkot das Gebot der grenzenlosen Freude gibt, weil dieses Verständnis, dass wir stets auf G´tt vertrauen können und er uns in jeder Situation helfen wird, eine große Beruhigung und seelische Entlastung von der schweren Bürde der Verantwortung mit sich bringt.
Perfektes Timing für diese Botschaft
Die wirtschaftliche Lage infolge der Pandemie hat auf staatlichem und individuellem Level ihren Tiefpunkt erreicht. Viele Menschen sind verzweifelt und wissen nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. Doch wenn wir in der Sukka sitzen und unseren Blick zum Himmel heben, dann erinnern wir uns daran, dass G´tt unsere Vorväter in der Wüste nicht im Stich gelassen hat und sich um sie gekümmert hat.
So sind auch wir nicht alleine und mit G´ttes Hilfe werden wir diese Krise überstehen, so herausfordernd und ausweglos diese auch zu sein scheint! Chag Sameach!
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