Der Untergang der verräterischen „Freunde“

Versprochene Versöhnung, ein merkwürdiges Testament von König David, die Frage der Abstammung und eine Warnung an falsche „Unterstützer“ Israels in der Übersicht der Haftorot des Monats Januar.

Mit dem Schofar sollen einst die Juden aus aller Welt heimgerufen werden.© JACK GUEZ / AFP

Von Rabbiner Elischa Portnoy

Im Januar werden mit „Wajigasch“ und „Wajechi“ die zwei letzten Wochenabschnitte des 1. Buches der Tora „Bereschit“ gelesen und mit den Parschjiot „Schemot“ und „Waera“ das 2. Buch „Schemot“ angefangen.

Auch die Haftorot (die dazugehörigen Abschnitte aus den Propheten) sind interessant und vielfältig: die Propheten lassen uns tiefer blicken und sogar manche Ereignisse in unserem eigenen Leben besser verstehen.

 

Ende gut – alles gut

Im Wochenabschnitt „Wajigasch“, der am ersten Schabbat nach dem säkularen Jahreswechsel gelesen wird, wird über ein dramatisches Treffen von Jakows Söhnen Josef und Jehuda berichtet. Jehuda tritt gegen Josef auf, der als ägyptischer Minister getarnt ist. Am Ende der spannenden Begegnung offenbart sich Josef den Brüdern und nach kurzem Schock umarmen sie sich alle. Danach kommt Jakow mit der ganzen Familie nach Ägypten und die Brüder leben zusammen bis zu ihrem Ableben in Frieden.

Dieses Thema wird auch in der Haftora zum Wochenabschnitt aus der Prophetie von Jezechiel angesprochen:

„Und das Wort von G‘tt kam zu mir also: Du, Menschensohn, nimm dir einen Holzstab und schreibe darauf: ‚Für Jehuda und die Kinder Israel, seine Mitverbundenen‘. Alsdann nimm einen anderen Holzstab und schreibe darauf: ‚Für Josef, den Stab Ephraims, und das ganze Haus Israel, seine Mitverbundenen‘. Danach füge beide Stäbe zusammen, einen zum andern, damit ein Holzstab daraus werde, ja, zu einem einzigen sollen sie werden in deiner Hand“.

 

Rivalität zwischen den jüdischen Stämmen

Die Wörter des Propheten lassen erahnen, dass es einen guten Grund für dieses Wort G’ttes gab: auch nach dem Auszug aus Ägypten und nach der Eroberung des Landes Israel gab es Rivalität zwischen den Stämmen, und zwar zwischen den Nachkommen von Jehuda und den Nachkommen von Josef.

Bekanntlich war das jüdische Königreich nach dem Ableben von König Schlomo in zwei Teile zerfallen: Königreich Jehuda (mit den Stämmen von Jehuda und Binjamin) und das Nördliche Königreich (mit den zehn anderen Stämmen unter der Führung des Stammes Ephraim). Zur Versöhnung kam es nie: zuerst wurde das Nördliche Königreich erobert und zerstört, wenig später verlor auch das Königreich Jehuda seine Unabhängigkeit.

Doch Jezechiel verspricht diese Versöhnung in der Zukunft:

„Und sage zu ihnen: So spricht G‘tt, der HERR: Seht, ich will die Kinder Israels aus den Nationen, unter welche sie gekommen sind, zurückholen und sie von überallher sammeln und sie in ihr Land führen; und sie im Lande auf den Bergen Israels zu einem einzigen Volke machen; sie sollen alle nur einen einzigen König haben, sie sollen auch hinfort nicht mehr zwei Völker bilden, noch in zwei Reiche zerteilt werden“.

Interessant ist, dass in der jüdischen Philosophie Josef und Jehuda nicht einfach irgendwelche Brüder und Anführer bedeutender Stämme sind, sondern Archetypen. Sowohl Josef als auch Jehuda sind große Anführer, Könige, aber ganz unterschiedliche Typen. Das sieht man schon in der Tora: im Land Kanaan, wo die Familie von Jakow lebt, ist Jehuda der von allen Brüdern respektierte Wortführer. Josef hat da wenig zu melden, und als er durch die Träume Anspruch auf die Führung erhebt, wird er von den Brüdern gehasst und beneidet.

Als Josef verkauft wird, in Ägypten große Karriere macht und zum Vize-König aufsteigt, wendet sich das Blatt. Die Brüder kommen nach Ägypten und verbeugen sich vor Josef auch dann noch, als sie bereits erfahren haben, dass der vermeintliche Vize-König ihr Bruder Josef ist. Als Jakow mit der Familie nach Ägypten zu Josef umsiedelt, hat Josef weiterhin das Sagen – von Jehuda dagegen ist fast nichts mehr zu hören. Deshalb sagen unsere Weisen: Josef ist der König im Galut (Exil) und Jehuda ist der König im Lande Israel (was sich in König David vollständig realisiert hat).

Deshalb lehren jüdische Mystiker, dass bevor der Erlöser (Maschiach) aus dem Hause David kommt und die messianische Ära in unserer Welt beginnt, zuerst sein Vorgänger Maschiach aus dem Hause Josef (Maschiach ben Josef) kommen soll. Auch er wird bestimmte Aufgaben erledigen müssen, bevor er stirbt und damit den Platz für Maschiach ben David frei macht.

Interessanterweise gibt es diese Idee auch im religiösen Zionismus und ist dort sehr wichtig. Religiöse Zionisten sind große Befürworter des Staates Israel und nennen den Staat „Reschit Tzmichat Geulotenu“ („der erste Spross unserer Erlösung“). Jedoch müssen sie irgendwie erklären, wie der säkulare Staat mit teilweiser sogar antireligiösen Gesetzen (z.B. „Ehe für alle“, Frauen in der Armee) aus religiöser Sicht Sinn macht. Deshalb wird der aktuelle Staat als erste Etappe nach dem „Josef-Typ“ bezeichnet, als „Vorbote“ für die nächste und letzte Etappe nach dem „Jehuda-Typ“, wenn der jüdische Staat unter Führung von Maschiach ben David religiös und gerecht sein wird.

Jedoch sind sowohl religiöse Zionisten, als auch religiöse Antizionisten in Einem einig: die Worte des Propheten „und (Ich werde) sie im Lande auf den Bergen Israels zu einem einzigen Volke machen; sie sollen alle nur einen einzigen König haben, sie sollen auch hinfort nicht mehr zwei Völker bilden“ sollten so schnell wie möglich in Erfüllung gehen!

 

Einzigartige Rettung

Im letzten Wochenabschnitt des 1. Buches Mosche „Wajechi“ lesen wir von den letzten Jahren und dem Ableben unseres Patriarchen Jakow. Vor dem Tod segnet Jakow alle seine Söhne und zeichnet damit ihre Zukunft auf.

Passend dazu wird als Haftora zu dieser Parascha über das Ableben von König David und sein Vermächtnis an seinen Sohn (Salomon) aus Königen I (2:2-12) gelesen. Und dieses Testament hat es in sich.

Was sollte ein König vor seinem Abgang seinem Nachfolger mitteilen? Wie man die Finanzen gut führt, wie man Freunde findet und die Feinde richtig einschätzt? Oder vielleicht wie man Kriege richtig führt und strategische Allianzen schließt?

Doch es geht hier um einen jüdischen religiösen König, der dazu auch ein absoluter Tzaddik (Gerechter) war. Welche Anweisungen gibt so ein König seinem religiösen und gerechten Sohn?

Zuerst verlangt David, dass Schlomo so g’ttesfürchtig und gerecht bleibt wie er selbst:

„So sei nun stark und sei ein Mann und beobachte die Verordnungen des HERRN, deines G‘ttes, dass du in seinen Wegen wandelst, seine Satzungen, seine Gebote, seine Rechte und seine Zeugnisse hältst, wie im Gesetze Mosches geschrieben steht…“.

Das ist durchaus verständlich und nachvollziehbar.

Was aber danach kommt, ist sehr erstaunlich:

„Du weißt aber auch, was mir Joab, der Sohn der Zeruja, getan hat, wie er an den beiden Heerführern Israels, an Abner, dem Sohne Ners, und an Amasa, dem Sohne Jeters, gehandelt hat, wie er sie umgebracht und also Kriegsblut mitten im Frieden vergossen und Kriegsblut an seinen Gürtel getan hat… So handle nun nach deiner Weisheit, dass du seine grauen Haare nicht in Frieden ins Totenreich fahren lässt!“.

 

Trachtet der gerechte David auf seinem Sterbebett nach Rache?

Doch damit ist David noch nicht zufrieden. Er erwähnt später noch einen Menschen, der nicht eines natürlichen Todes sterben sollte:

„Und siehe, du hast bei dir Schimi, den Sohn Geras, den Benjaminiter, von Bachurim, der mir bitter und schändlich fluchte zu der Zeit, als ich nach Mahanaim ging. Als er aber dann an den Jordan herab mir entgegenkam, da schwur ich ihm bei dem HERRN und sprach: Ich will dich nicht mit dem Schwerte töten! Nun aber lass du ihn nicht ungestraft; denn du bist ein weiser Mann und wirst wohl wissen, was du ihm tun sollst, dass du seine grauen Haare mit Blut ins Totenreich hinunterbringest“.

Sowas ist natürlich schwer zu verstehen: wenn diese Menschen schuldig sind, warum hat David sie selbst nicht gerichtet und exekutiert? Und wenn sie nicht gerichtet werden können, wie kann David seinen Sohn zum Mord anstiften?

 

Warum müssen so verdienstvolle Juden wie Joab und Schimi sterben?

Der Kommentar unserer Weisen dazu ist sehr erstaunlich: David hat sich bei diesen Anweisungen um das Wohl dieser beiden Täter gekümmert! Jedoch nicht um das leibliche Wohl in dieser Welt, sondern um ihr seelisches Wohl in der kommenden Welt.

Sowohl Joab, als auch Schimi waren herausragende Persönlichkeiten. Joab war ein großer General, der viel für den Schutz des jüdischen Volkes getan hatte. Schimi war sogar noch wichtigerer! Er war ein großer Gelehrter und war sogar persönlicher Mentor von König Schlomo. Mehr noch: im Talmud (Brachot 8a) steht, dass die ganze Zeit, in der Schimi lebte, König Schlomo die Tochter des Pharaos nicht geheiratet hat (und damit nicht gesündigt)!

Jedoch haben beide schwere Fehler in ihrem Leben begangen: Joab tötete zwei andere Generale (aus seiner Sicht durchaus begründet) und Schimi hat den König(!) verflucht (als David aus seiner Sicht schuldig war). Auch wenn beide Männer mit guten Absichten handelten, waren das große Fehler, die für diese verdiente Menschen eine schwere Strafe von G’tt in Gehinom (der Hölle) bedeuteten. Unsere Weise sagen aber, dass das Leiden oder ein unnatürlicher Tod in dieser Welt schwere Sünden sühnt und großes Leid der Seele nach dem Ableben ersparen kann.

Das war auch die Absicht von David: durch den unnatürlichen Tod sollten schwere Sünden von Joab und Schimi gesühnt werden, damit ihre Seelen in der kommenden Welt ihren Platz in Gan Eden bekommen könnten.

Wenn wir also über solche großen Menschen wie König David lesen, müssen wir aufpassen voreilige Schlüsse zu ziehen, es könnte etwas dahinterstecken, was wir ohne unsere Weisen niemals ahnen würden.

 

Gute Abstammung ist keine Versicherung

Mit dem Wochenabschnitt „Schemot“ wird das 2. Buch der Tora eröffnet, das Buch über die Versklavung der Juden in Ägypten und ihre Befreiung. In diesem Wochenabschnitt gibt es mehrere Themen: Die Versklavung der Juden, die Geburt von Mosche und seine Auserwählung für die Befreiung.

Interessanteweise gibt es zwei verschiedene Traditionen, welche Haftora zu dieser Parascha gelesen wird: während aschkenasische (europäische) Juden die Prophetie von Jesaia (27:6-28:13, 29:22-23) lesen, lesen sephardische (orientalische) Juden den Anfang der Jeremia-Prophetie (1:1-19, 2:1-3).

Beide Abschnitte haben starke Verbindung mit dem Wochenabschnitt. Der 7. Ljubawitscher Rebbe Rabbi Menachem Mendel Schneerson (1902-1994) zeigt, dass es in der aschkenasischen Version (Jesaia) sogar mehrere thematische Verbindungen gibt.

Unter anderem befindet sich hier die ziemlich berühmte Prophezeiung über die Messianische Ära, in der alle Juden – egal, wohin sie zerstreut wurden – in Israel versammelt werden:

„Und es wird an jenem Tage die große Posaune (Schofar) geblasen werden; da werden heimkommen die Verlorenen aus dem Lande Aschur und die Verstoßenen aus dem Lande Ägypten; und sie werden den HERRN anbeten auf dem heiligen Berge zu Jerusalem!“

Auch in der Prophetie von Jeremia, die von den sephardischen Juden gelesen wird, gibt es eine interessante Verbindung zum Wochenabschnitt. So wie in der Parascha von der Auserwählung von Mosche erzählt wird (und Mosche wurde damit zum größten Propheten aller Zeiten), wird zu Beginn der Haftora auch berichtet, wie Jeremia zum Propheten wurde.

„Reden Jeremias, des Sohnes Hilkias, aus den Priestern zu Anatot im Lande Binjamin, an welchen das Wort des HERRN erging in den Tagen Josias, des Sohnes Amons, des Königs von Jehuda, im dreizehnten Jahre seiner Regierung, und auch in den Tagen Jojakims, des Sohnes Josias, des Königs von Jehuda, bis zum Ende des elften Jahres Zedekias, des Königs von Jehuda, bis zur Gefangenführung Jerusalems im fünften Monat“.

Unsere Weisen bemerken, dass die Abstammung von Jeremia hier nicht umsonst genannt wird und dass darin eine starke Botschaft verborgen ist. Laut der Überlieferung stammt Jeremia mütterlicherseits von der Prostituierten Rachaw (Josua 2:1-22) ab. Das war die Angriffsfläche für die Feinde des Propheten, dessen Zurechtweisungen ihnen nicht gefallen haben. Deshalb bringt G’tt die Abstammung von Jeremia von einer großen und geschätzten Priesterfamilie zur Sprache.

Außerdem sehen die Rabbonim hier eine gewisse Ironie von G’tt: „Jeremia, der von einer Hure abstammt, aber ein Gerechter ist, soll kommen und Söhne Israels zurechtweisen, die von den frommen Müttern abstammen, jedoch zu Sündern wurden“.

Daran sehen wir, dass eine gute Abstammung noch keine Garantie für ein gerechtes Leben ist. Es ist nur eine gute Voraussetzung, aber jeder Mensch soll sich selbst Mühe geben, um sein Leben unter Kontrolle zu bringen und zum g’ttesfürchtigen, ehrlichen und positiven Menschen zu werden.

 

Verweigerung der Unterstützung für Israel wird zum Desaster

Im Wochenabschnitt „Waera“, der am letzten Schabbat des Januars gelesen wird, beginnen die berühmten Ägyptische Plagen (Wasser zu Blut, Armada von Fröschen, Invasion von Tieren usw.). Deshalb wurde passend dazu auch die Haftora ausgewählt: das ist die Prophezeiung von Jezechiel über die Zerstörung Ägyptens durch den Tyrannen Nebukadnezar (28:25-26, 29:1-21).

Dabei verspricht der Prophet die totale Vernichtung Ägyptens, das nie mehr zu einem großen und bedeutenden Imperium wird: „Und ich will Ägyptenland inmitten anderer verwüsteter Länder zur Wüste machen, und seine Städte sollen unter andern öden Städten vierzig Jahre lang öde liegen. Aber die Ägypter will ich unter die Heiden zerstreuen und in die Länder versprengen“. Und diese Prophezeiung ist komplett in Erfüllung gegangen: Ägypten wurde nie mehr zu einer Weltmacht, die Ägypter gingen verloren und wurden durch Araber ersetzt.

Da stellt sich die Frage, womit Ägypten diesen Untergang verdient hat? Die Antwort ist: für seinen Verrat am jüdischen Staat: „Weil sie für das Haus Israel ein Rohrstab gewesen sind. Wenn sie dich in die Hand nahmen, so knicktest du ein und durchstachst ihnen die ganze Schulter; und wenn sie sich auf dich lehnten, so zerbrachst du und machtest ihre Lenden wanken“.

Ägyptische Herrscher versprachen Israel lange Zeit Unterstützung im Kampf gegen die Eroberer aus dem Norden. Als es aber ernst wurde, ließ Ägypten jegliche Unterstützung vermissen. Und auch wenn G’tt mit Israel wegen seiner Sünden manchmal zürnt, so bleibt das jüdische Volk ein Volk G’ttes und Verrat an ihm wird von G’tt schwer bestraft. Und wer weiß, ob es der heutigen Weltmacht USA nicht deshalb so gut geht, auch weil sie Israel so stark unterstützt? Und das Schicksal von Ägypten könnte für manch andere Länder eine Warnung sein…

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