Warum Jazz-Legende Louis Armstrong jiddisch sprach

Eine jüdische Familie half dem vaterlosen Jungen in seiner Kindheit. Seine Verbundenheit mit dem Judentum ging so weit, dass er zeitlebens einen Davidstern trug und sogar eine Mesusa an seiner Tür anbrachte.

© AFP

Von Filip Gaspar

Jeder Mensch geht mit der Corona-Quarantäne anders um. Manche nehmen an Gewicht zu, andere entdecken gezwungenermaßen die Vorzüge der Heimarbeit, und wieder andere beginnen anscheinend mehr – oder überhaupt – klassische Jazzmusik zu hören. Denn laut einem Bericht der Empfehlungswebseite TasteDive ist das Interesse am Jazztrompeter und Sänger Louis Armstrong während Corona um 19 % gestiegen. Andere Genres wie elektronische Musik ziehen dagegen den Kürzeren.

Alex Elias, Gründer und CEO von Qloo, einer von TasteDive erworbenen Plattform für künstliche Intelligenz, sagte, dass dies „emotionalen Folgen der Quarantäne und der damit verbundenen Selbstbeobachtung sein“ könnten.

Ob Jazzmusik besser geeignet ist, um mit dem eigenen Innenleben aufzuräumen, sei jedem selbst überlassen, doch wer genau war dieser Louis Armstrong überhaupt? Und weshalb sollte ein nicht-jüdischer Musiker einen Artikel in der JÜDISCHEN RUNDSCHAU wert sein? Weil die damaligen Lebensumstände diese afroamerikanisch-jüdische Symbiose zustande brachten, die nicht nur den Jazz, sondern die Musik an sich, prägen sollten.

 

Vaterlos im Armenviertel

Louis Daniel Armstrong kam am 4. August 1901 im Armutsviertel, „Back o town“, im sogenannten Third Ward, einem Bezirk von New Orleans, zur Welt. Diese Gegend wurde wegen der dort herrschenden Gewalt und Armut auch als „das Schlachtfeld“ bezeichnet.

Sein Vater ließ die Familie früh im Stich. Zwar sollte er später noch einmal zur Mutter zurückkehren, aber bloß um diese ein weiteres Mal zu schwängern, und sie dann erneut sitzen zu lassen. Louis verbrachte die ersten Jahre bei seiner Großmutter, während die sich noch im Teenageralter befindende Mutter allerlei Arbeiten annehmen musste, um für den Unterhalt der Familie zu sorgen. Dazu gehörte vermutlich auch Prostitution.

Die Karnofskys, eine litauisch-jüdische Familie, sollten für ihn ein zweites Zuhause werden. Sie stellten den Jungen als Laufburschen an. Das Familienoberhaupt, Morris Karnofskys, zog zusammen mit dem kleinen Louis und einem Karren voller Altmetall durch die Straßen von New Orleans. Seine Aufgabe bestand darin, den Kunden das Kommen des Straßenhändlers anzukündigen. Dazu blies Louis in eine Art Horn, durch dessen Laute Karnofsky sich von den anderen Straßenhändlern unterscheiden konnte. Dies war sozusagen das erste Instrument im Leben von Louis Armstrong.

 

Eine jüdische Familie nimmt ihn unter ihre Fittiche

Später sagte er, dass sie ihn wie ihr eigenes Kind behandeltet hätten. Sie fütterten ihn nicht bloß mit Essen, sondern auch mit Musik. Von Mutter Karnofsky hörte er russische Wiegenlieder, die diese zum Besten gab und erlernte dadurch Jiddisch. Auf einer der alltäglichen Touren erblickte Louis im Schaufenster eines Pfandleihers ein Kornett für zwölf Dollar. Die Karnofskys hatten schon lange das musikalische Talent in ihm erkannt und waren bereit, ihm einen Vorschuss zu gewähren, damit er es kaufen konnte. Allerdings unter der Bedingung, dass er noch für ein weiteres Jahr bei ihnen arbeiten würde.

In seinen Memoiren äußerte Armstrong sich zur Familie Karnofsky: „Ich hege schon seit langer Zeit Bewunderung für das jüdische Volk. (…) Ich war erst sieben Jahre alt, aber ich musste die unchristliche Behandlung der armen jüdischen Familie, für die ich arbeitete, durch die Weißen mitansehen.“

Aus dem kleinen Laufburschen sollte die weltberühmte Jazz-Legende werden. Doch die Lebensumstände von Armstrong können als typisch für die Entstehungszeit des Jazz bezeichnet werden. Der Jazz vermischte in den USA afrikanische Einflüsse mit den Einflüssen anderer Minderheiten, darunter vor denen jüdischer Musiker.

Neben den Parallelen in der afrikanischen und jiddischen Musik, wie etwa die Improvisation und die Tradition der mündlichen Überlieferung, teilen Juden und Afroamerikaner das Schicksal der Verfolgung durch weiße Christen. Die mehrheitlich protestantische Gesellschaft blickte eher skeptisch auf diesen neu aufkommenden Musikstil der Unterschicht. Die Situation der afroamerikanischen Musiker in den USA der 50er und 60er war nicht gerade rosig. Schwarze Musiker bekamen lange Zeit deutlich schlechtere Honorare für Auftritte als ihre weißen Kollegen.

Man muss jüdischen Musikern wie Benny Goodman und Artie Shaw danken, die als eine der ersten bereit waren, schwarze Musiker in ihren Bands mitspielen zu lassen. Natürlich bedeutete dies noch lange kein Ende der Segregation, doch war ein wichtiger erster Schritt auf einem langen Weg getan.

Bemerkenswerterweise findet man in deutschen Artikeln wenig zur Bedeutung des Judentums im Leben von Louis Armstrong. Im deutschen Wikipedia-Artikel wird die Familie Karnofsky nicht einmal erwähnt. Von den Jiddisch-Kenntnissen oder seinem jüdischen Manager mit Verbindungen zur Unterwelt, Joe Glaser, ganz zu schweigen. Armstrong selbst fand andere Mittel und Wege, um seine Dankbarkeit auszudrücken. So sollte er sein Leben lang einen Anhänger mit einem Davidstern um den Hals tragen. In seiner Küche durfte auch Matzebrot nicht fehlen, weil er die jüdische Küche lieben gelernt hatte. An seiner Tür befand sich auch eine Mesusa. Und dies sind nur einige der Zeugnisse, welch wichtigen Einfluss das Judentum auf Armstrongs Leben und seine Musik hatte.

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