Day Camp für jüdische Kinder

Kinder aus sowjetisch-jüdischen Familien werden erstmals spielerisch wieder ans Judentum herangeführt.

Kinder im Day Camp beim Hebräisch-Unterricht

Von Rebbetzin Katia Novominski

In Sachsen-Anhalt tut sich zurzeit etwas Großes – gleich zwei Synagogen sollen gebaut werden – eine in Magdeburg und eine in Dessau. Viele offizielle Akte sind schon gelaufen, zuletzt am 12. Februar die feierliche symbolische Übergabe des Fördermittelbescheides für die Finanzierung des Baus der Synagoge in Dessau durch den Ministerpräsidenten Haseloff – ein wichtiges Ereignis, welches durch die Presse gegangen ist, aber wohl nicht das wichtigste, was diese Woche im jüdischen Leben von Dessau geschah.

Eine Synagoge möchte gefüllt werden, und nicht zu einem städtischen Museum verkommen. Damit dies in Dessau gelingt, fand das erste jüdische DayCamp nach dem Zweiten Weltkrieg in der Gemeinde statt. Dank der Unterstützung des BtJ (des Bundes der traditionellen Juden in Deutschland) war es möglich, eine Woche lang jüdischen Kindern aus Dessau und Halle (die täglich nach Dessau kamen) die jüdische Tradition näherzubringen. Als krönender Abschluss konnte dann ein regionaler BtJ-Shabbaton mit weiteren Gästen, unter anderem Kindern aus Chemnitz und dem tollen Madrichim-Team (Danke an dieser Stelle!), stattfinden.

 

Viele erste Male

Was genau bringt so ein DayCamp außer bequemer Kinderbetreuung für die Eltern? In unserem Fall sehr viel. Etliche der Teilnehmer haben zum ersten Mal richtig Berührung mit ihrer eigenen Tradition und Geschichte – sie haben erfahren, dass sie einen zweiten Geburtstag feiern dürfen – ihren jüdischen Geburtstag! Zum ersten Mal haben viele von ihnen eine Thorarolle gesehen, zum ersten Mal etwas über die Nächstenliebe und Zdaka (Spende) gelernt (und prompt eine Zdaka-Box für zu Hause gebastelt), zum ersten Mal Challa gebacken und diese am Schabbat gegessen. (Danke an dieser Stelle an das ganze Team der jüdischen Gemeinde Dessau, vor allem die Küche, die geduldig alles mitgemacht hat). Ein weiterer Höhepunkt war der Besuch des Museums Synagoge in Gröbzig – ein wunderbar erhaltener Komplex mit einem fantastischen pädagogischen Programm für die Kinder und der exklusiven Möglichkeit für das Camp, dort vor Ort in der Synagoge das tägliche Morgengebet und die tägliche jüdische Tagesgeschichte zu machen. Eine Synagoge soll eben gefüllt werden.

Der 7. Lubawitscher Rebbe pflegte zu sagen, dass ein Camp ein Amboss für ein jüdisches Kind ist. Man kann die Wichtigkeit einer solchen intensiven Freizeit in der jüdischen Atmosphäre gar nicht in Worte fassen. Auf das erste DayCamp wird sicherlich das zweite folgen!

Diese Erfahrung in Dessau ist ausdrücklich zum Nachmachen gedacht. Jede, auch die allerkleinste jüdische Gemeinde in diesem Land kann ein DayCamp veranstalten und damit Kinder, Jugendliche und ganze Familien der jüdischen Tradition und der Gemeinde selbst näherbringen. Was man dafür braucht? Hier sind die heißen Tipps und Tricks, bzw. die Grundsätze, die ein solches DayCamp möglich machen (und sie kosten nicht einmal viel!).

„Präambel“: Es wird oft darüber diskutiert, was eine jüdische Organisation, eine Gemeinde, ein Jugendzentrum alles haben muss, damit Kinder und Jugendliche kommen – von Ausstattung über leckeres Mittagessen, Öffnungszeiten, teure Anschaffungen, Kinosäle etc. etc. Nach mittlerweile fast 19 Jahren Jugendarbeit darf ich es mir erlauben, meinen Senf dazu zu geben. Ich bin der tiefen Überzeugung (und es hat sich bisher in der Praxis bestätigt), dass wir nur drei Voraussetzungen zwangsläufig brauchen, damit die Jugendarbeit funktioniert. Und es sind folgende:

1. Judentum als Inhalt

2. warme, pädagogisch sichere Atmosphäre – safe space

3. charismatische bzw. engagierte Persönlichkeit(en)

Zum ersten: damit meine ich jüdische Tradition, Geschichte, Religion – Kinder und Jugendliche suchen nach der eigenen Identität, unsere Jugendarbeit ist oft die einzige Stelle, die die Fragen nach dem „wer bin ich, und wo komme ich her“ beantworten kann. Und dazu müssen wir die Inhalte nicht verstecken - sie werden gesucht und müssen bei uns gefunden werden. Also keine Angst vor Schabbat!

Zweitens: Gerade in der komplizierten Welt von heute und der nicht gerade wärmsten Atmosphäre auf vielen Schulhöfen und in einigen Familien, müssen wir dafür sorgen, dass es bei uns einen sicheren Ort für jeden einzelnen gibt. Damit meine ich eine pädagogische Grundhaltung der Wertschätzung eines jeden Kindes und Jugendlichen als selbstständige Persönlichkeit, unter der Berücksichtigung der jeweiligen Bedürfnisse. Die Jugendarbeit ist keine Selbstdarstellungsplattform von Jugendleitern/Madrichim – was offenbar nicht wenige denken. Kommunikationssünden wie Spott, Herablassung, Bewerten, Verurteilen etc. haben in der jüdischen (und eigentlich in gar keiner) Jugendarbeit nichts zu suchen.

Drittens: Ohne Persönlichkeiten, zumindest einer Persönlichkeit mit gesundem Selbstwertgefühl, Ecken und Kanten, Bereitschaft zum sich-auf-den-anderen-einlassen kann keine Jugendarbeit klappen. Ein Jugendverantwortlicher der Gemeinde bzw. Jugendleiter/Madrich muss sich minimal mit den Grundsätzen der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auskennen – minimale Kenntnisse aus einigen pädagogischen Bereichen, der Gruppendynamik und der Kommunikation sind ein Muss. Es ist heute nicht so schwer sich diese anzueignen bzw. sich und seine Madrichim trainieren zu lassen.

Wenn diese drei Voraussetzungen erfüllt sind, dann ist die Durchführung eines DayCamps (bzw. generell der Jugendarbeit) praktisch schon in der Tasche.

Nun einige technischen Hinweise für ein DayCamp (die rechtlichen Sachen wie Anmeldungen, Fotorechte, Allergiehinweise, Versicherungen, altersgerechte Aktivitäten etc. etc. sollten heutzutage selbstverständlich sein, daher werde ich dazu nichts sagen):

Man sollte sich solche Ferien bzw. solche Daten fürs Camp aussuchen, an denen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass die Familien in der Stadt bleiben und dankbar für die Kinderbetreuung sind (Man schaue in den Ferienkalender des eigenen Bundeslandes bzw. befragen die Eltern).

Die Mindestdauer eines Camps sollte 3 Tage sein, Höchstdauer 2 Wochen (3 nur dann, wenn man genug Personal hat, um das Team zwischendurch zu wechseln).

Oft stellt sich die Frage: ab wie vielen Kindern lohnt es sich ein DayCamp zu machen? Ich hatte schon Mini-Daycamps für 3 Tage mit 5 Kindern gehabt, und Daycamp-Tage mit 2 Kindern, weil etwa der Verkehr ausgefallen war. Es lohnt sich auch für wenige Kinder der Gemeinde, und wenn auch nur für einige Tage und ein paar Stunden (by the way: auch Teenager können mit einem entsprechenden Programm Teil des Camps sein).

 

Das Jüdische nicht vergessen – und die festen Rituale

Trivial, aber für alle Fälle sei an dieser Stelle doch gesagt, das Camp sollte ein Motto/Thema/Namen haben – und siehe Punkt 1 der Präambel – es sollte jüdisch sein. „Wir besuchen 5 Museen der Stadt” ist bei aller Liebe kein jüdisches Camp. Die Tagesthemen sollten im Einklang mit dem Oberthema stehen.

Bei der Wahl „Ausflug oder pädagogische Arbeit“, ist pädagogische Arbeit dem Ausflug vorzuziehen. Ich persönlich empfehle 1,5 Ausflüge pro Woche – einen Halbtagesausflug am 2. Camp-Tag und einen Ganztagesausflug am 4. Tag (sofern es sich logistisch managen lässt).

Die Jugendarbeit lebt von der Abwechslung zwischen Routine und neuen Aktivitäten. Es muss feste tägliche Rituale geben – Morgenkreis mit einem angepassten Gebet/Liedern, Erzählung/Theaterstück zum Thema des Tages, Frühsport o.ä. Nach Möglichkeit auch einen Tagesabschluss in Gruppen oder als ganzes Camp (ich persönlich arbeite gern mit extra vorbereiteten Heften, wo die Camp-Teilnehmer ihre Erfahrungen und Erlebnisse festhalten können). Täglich soll es auch etwas geben, was es an anderen Tagen nicht gab.

Entsprechend sollte es täglich ein Programm zum Tagesthema bilden und eben dieses soll das Kernstück des Camps sein. Das soll auch möglichst am meisten Spaß machen und eben den Unterschied zwischen einem jüdischen DayCamp und der Hort-Freizeitbeschäftigung ausmachen.

Ich glaube fest an „fancy” Basteln. Nach Möglichkeit sollten die Camp-Teilnehmer täglich/alle paar Tage etwas Selbstgemachtes aus ungewöhnlichen Materialien passend zum Tagesthema mitnehmen können.

Für alle Fälle sei es hier gesagt: das Essen sollte kindgerecht sein! Man spreche das Menü mit seiner Gemeindeküche sehr genau ab.

Wenn möglich, dann ist es wunderbar, wenn man das Camp zusammen mit den Eltern beenden kann: Ein abschließender Freitagabend zusammen, mit einem kleinen Auftritt – Theater, Tanz, Lied, gemeinsames Kerzenzünden, Kabbalat Shabbat und im Anschluss eine gemeinsame Mahlzeit – mehr kann man sich als Gemeinde kaum erträumen.

Ich hoffe sehr, dass diese kleine Aufstellung helfen kann, ein erfolgreiches Projekt in der eigenen Gemeinde auf die Beine zu stellen. Jedes einzelne Kind, jede einzelne Familie ist eine ganze Welt. Auf, dass viele davon in unseren Gemeinden zu finden sein werden.

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