Was bleibt vom Glück des Mauerfalls?

30 Jahre nach der friedlichen Revolution verspielt Deutschland erneut die Freiheit seiner jüdischen und nicht-jüdischen Bürger.

© AFP

Von Paul Möllers

Ein Detail fiel ins Auge bei der Berichterstattung über die geplanten Feierlichkeiten anlässlich des Jubiläums des Mauerfalls: Der Hinweis auf die erhöhten Sach- und Personalkosten aufgrund der zu treffenden erhöhten Sicherheitsmaßnahmen. „Seit dem Anschlag vom Breitscheidplatz“ seien die Sicherheitsanforderungen gestiegen – an dieser lapidaren Erklärung nimmt jedoch fast niemand mehr Anstoß, der Verlust an Sicherheitsgefühl wird nur ungern zum Thema gemacht.

Als besonders betroffene Gruppe haben zuletzt die Vertreter der jüdischen Gemeinden auf diesen Punkt hingewiesen. So wurde der fehlende Schutz an Synagogen bemängelt, nur durch einen glücklichen Umstand konnte ein Massaker in der Synagoge in Halle verhindert werden. Die Bitten der Gemeinden um mehr Polizeischutz blieben unerhört.

 

Bedrohte Werte

Auch die Berichterstattung über die veränderte Quantität und Qualität von antisemitischen Attacken bewirkte zunächst nur Aktionismus und Lippenbekenntnisse. Über die Bedrohung durch Antisemitismus von rechtsextremer Seite hat man sich bislang keine Illusionen gemacht. Man tut sich aber schwer, den zunehmenden islamischen Antisemitismus, insbesondere den „palästinensischen“ Antisemitismus, zu thematisieren und ist geneigt, aus einer falsch verstandenen Multiperspektivität diesen Antisemitismus auch im Bildungsbereich zu tolerieren, wie die Antisemitismusforscher Samuel Salzborn und Alexandra Kurth in einem Gutachten Anfang des Jahres feststellen.

Ob sich Ignatz Bubis, Heinz Galinski oder Paul Spiegel diese Entwicklung hätten vorstellen können? Angela Merkels Rede zu 20 Jahren Wiedervereinigung vor der jüdischen Gemeinde im Oktober 2010 könnte deutschen Juden heute aufstoßen; neben ihrem Bekenntnis zu Israels Sicherheit als Staatsräson äußerte Merkel auch: „Jüdisches Leben gehört zu Deutschland, es hat hier seine Heimat“.

 

In Osteuropa brauchen Juden weniger Schutz als in Deutschland

Es mutet wie Ironie an, dass sich nun nach Deutschland eingewanderte Juden aus Osteuropa mittlerweile sicherer in ihren Herkunftsländern fühlen als in der sogenannten offenen Gesellschaft – trotz Bedenken, wenn es etwa um die Person Orbán geht. Sind doch Juden hierzulande auf mehr Schutz angewiesen als z.B. in dem so bezeichneten „rechtspopulistischen“ Ungarn unter dem mindestens als rechtsnational oder rechtskonservativ geltenden Orbán.

Eine zunehmende Entfremdung macht sich auch unter Einwanderern muslimischer Herkunft breit, sie erkennen die Bundesrepublik nicht wieder, in der sie einst Zuflucht suchten und fanden vor religiöser und politischer Verfolgung.

Die Unsicherheit darüber, welche Werte und Traditionen überhaupt zu verteidigen sind, spiegelt sich in öffentlichen Verlautbarungen oder in ungelenk und inhaltssleer anmutenden Kampagnen der Bundesregierung wie zuletzt bei „Wir sind Rechtsstaat“. Sollte dies als ein Eingeständnis der Regierung zu verstehen sein? In den letzten Jahren sind auch neue Mauern entstanden, politischer Streit wurde lange nicht mehr so unerbittlich geführt. Ein Konsens, der als unhintergehbar betrachtet wurde, scheint aufweicht. Die zunehmende Polarisierung und das Handeln nicht zuletzt der großen Koalition hat die politischen Ränder gestärkt. Die Bruchlinien zeichnen sich in den kleinsten Einheiten von Gesellschaft ab: In vielen Familien steht man sich zum Teil unversöhnlich gegenüber, wenn es um Themen wie Einwanderung, Bildung und Wirtschaftspolitik geht.

 

Politische Bildung mit blinden Flecken?

Auch in anderen Bereichen ist fast schon eine Umwertung zu verzeichnen, so geraten heute Bürgerrechtler wie Vera Lengsfeld unter „Rechts“-Verdacht, Medien wie die „Frankfurter Rundschau“ attestieren ihr, „nach Rechtsaußen gedriftet“ zu sein.

Andere wiederum genießen trotz langjähriger Stasi-Mitarbeit hohes Ansehen, werden gar im Bereich politische Bildung prominent eingesetzt, so wie etwa Anetta Kahane.

Zuletzt erlitt ihr Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus einen Verlust an Glaubwürdigkeit, als sie im Verein mit Stiftungsmitarbeiterin Dr. Rosa Fava eine angeblich neue „Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit“ namens „CLAIM“ bewarb. Allein die Namenswahl müsste wie ein Affront erscheinen, vor allem wenn man dazu den Umgang der DDR mit der Jewish Claims Conference betrachtet. Sollte das einer so profilierten politischen Bildnerin entgangen sein?

Auch die personelle Zusammensetzung der Allianz wirft Fragen auf, so finden sich verschiedene altbekannte Vertreter des politischen Islams darunter, Inssan e.V. z.B., vom Verfassungsschutz verdächtigt, Verbindungen zu Vereinen zu haben, die der antisemitischen Muslimbruderschaft zugeordnet werden. Auch andere Beteiligte wie Dr. Farid Hafez, der für eine wohl AKP-nahe Denkfabrik wie SETA arbeitet, erscheinen zunächst nicht wie natürliche Verbündete im Kampf gegen Antisemitismus. Wie auch andere in diesem Bereich der politischen Bildung Tätigen hat es Anetta Kahane bislang nicht vermocht, die negativen Implikationen eines postmodernen Antirassismusbegriffs zu durchschauen: Eine analytische Durchdringung der Spezifik von Antisemitismus bleibt aus, in der Folge bleibt der Bereich Antisemitismus ein blinder Fleck, jegliche Kritik an muslimischem Antisemitismus wird mit Hinweis auf „Rassismus“ delegitimiert.

Man wäre direkt geneigt, der Doyenne der wiedervereinigten bundesrepublikanischen politischen Bildung ein wenig, ja, politische Bildung ans Herz zu legen. Mit kundigen Aufklärern wie Vojin Saša Vukadinović beispielsweise, selbst Historiker, könnte sie die Fallstricke des postmodernen „Kampfs gegen Rassismus“ begreifen lernen.

Man darf also gespannt sein auf die Feierlichkeiten zum Mauerfall, von massenwirksamen Happenings bis leisen Tönen wird alles vertreten sein. Und man kann nur hoffen, dass „Impulse“ wie der von Malte Lehming, den 9. November einfach zu einem „Tag der Herkunft“ zu erklären, ungehört bleiben. Der „Tagesspiegel“-Redakteur, unvergessen sein Kommentar über den Neid der „Eingeborenen“ auf die „Vitalität“ und Risikobereitschaft der ausländischen Intensivtäter, schlägt vor, am 9. November aus dem „deutsch-deutschen Sud heraus“ zu kommen. Dazu solle jeder „selbstbewusst“ ein „Merkmal seiner Herkunft“ tragen, eine Flagge oder ein religiöses Zeichen.

„Das Versteck der eigenen Identität zu verlassen, kann befreiend und aufregend zugleich sein“ – dieser Satz kann nur zeitgeistig „vielfältigen“ Geistern wie Lehming gefallen. Juden jedoch, die im wiedervereinigten Deutschland mittlerweile gut beraten sind, auf jegliche Zeichen ihrer Religiösität im öffentlichen Raum zu verzichten, kann er nur wie Hohn erscheinen.

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