Lehren aus 9/11: Der Westen und der Islamismus

Verdeckt durch Corona und ausgeblendet durch linkslastige Medien und Politik: Der Islam stellt eine massive Gefahr für unsere westlichen Gesellschaften und Lebenswerte dar. Zwei Jahrzehnte nach 9/11 analysieren 20 internationale Autoren den Umgang des Westens mit dem Islam. Sie warnen vor allem davor, dem vermeintlich konzilianteren politischen Islam und den sogenannten „moderaten“ Muslimen auf den Leim zu gehen.

Ein Wendepunkt der Geschichte: Der 11. September 2001© WIKIPEDIA

Von Claudio Casula

Dieser Tage war zu lesen, dass die deutschen Behörden es im Jahr 2021 geschafft haben, immerhin 18 der etlichen hundert bekannten und mehr oder weniger gut beobachteten islamistischen Gefährder außer Landes zu schaffen.

Ein hübscher Anlass, danach zu fragen, wie es um den Umgang mit dem Thema Islamismus in Deutschland, Europa und den USA 20 Jahre nach den Terroranschlägen von 11. September 2001 bestellt ist. In dem Buch „Lehren aus 9/11. Zum Umgang des Westens mit Islamismus“ beschäftigen sich 20 Autoren mit der Gefahr, die vom Islamismus ausgeht und auf zwei Ebenen stattfindet.

Da ist zum einen der Dschihadismus, der bis 2001 hauptsächlich ein Problem der arabisch-muslimischen Welt war, seither aber auch Europa bedroht. Terroranschläge u.a. in Madrid, London, Paris, Brüssel, Berlin, Nizza, Manchester und Barcelona kosteten hunderte von Menschen das Leben. Seit 9/11 verübten Dschihadisten weltweit etwa 90.000 Terroranschläge, über 180.000 Zivilisten wurden dabei getötet. In Teilen Iraks und Syriens errichtete der Islamische Staat ein grausames Kalifat und konnte erst nach jahrelangen Kämpfen wieder zurückgedrängt werden. Die Kopfabschneider von Daesh erhielten dabei eifrig Zulauf aus Europa, etwa 30.000 ausländische Dschihadisten reisten in den „Heiligen Krieg“, darunter ca. 1.000 aus Deutschland.

Indes greift die Fokussierung auf den Dschihadismus zu kurz, sind doch der offene Terror und die legalistische Variante nur zwei Seiten derselben Medaille. Tatsache ist, dass der legalistische Zweig zentrale Ziele mit den Dschihadisten teilt: eine theokratische Staats- und Gesellschaftsordnung gemäß fundamentalistischer Islaminterpretation, die nicht mit freiheitlich-demokratischen Rechtsstaatsprinzipien vereinbar ist, eine totalitäre, im Kern antisemitische Ideologie mit klaren Feindbildern. Der Unterschied zu den Dschihadisten ist lediglich ein strategischer. Der politische Islam agiert unter dem Radar der Öffentlichkeit, verschleiert seine Kontakte, tritt vermeintlich konziliant auf und bietet sich im Westen, auf dessen Klaviatur man schlau zu spielen vermag, als Ansprechpartner an.

 

Allein 1.300 Anhänger der Muslimbruderschaft in Deutschland

Haben Europas Sicherheitskräfte die islamistischen Gefährder, denen Terroranschläge jederzeit zugetraut werden, noch halbwegs im Griff, entzieht sich der legalistische Islam jeglicher Kontrolle. Wie die Autoren aufzeigen, reichen die Wurzeln des politischen Islam bis ins Ägypten des Jahres 1928 zurück, als Hassan al-Banna die Muslimbruderschaft gründete („Gott ist unser Ziel. Der Prophet unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der Dschihad ist unser Weg. Der Tod für Gott ist unser edelster Wunsch.“), die Ableger überall in der arabischen Welt bilden sollte und auch ihren Weg nach Europa fand. Mit der iranischen Revolution 1979 begann dann die Re-Islamisierung der arabischen Welt, sie brutalisierte sich, wie Michael Wolffsohn schreibt, und trug den Terror in den Westen. Gleichzeitig bauten die legalistischen Islamisten ihre Netzwerke weiter aus, gründeten soziale und religiöse Begegnungsstätten und Koranschulen, um junge Muslime in Europa in ihrem Sinne zu indoktrinieren, wurden auch sozial und karitativ tätig. Mit dem Aufbau einer religiösen Infrastruktur wurde schon parallel zum Anwerbeabkommen mit der Türkei in den 1970er Jahren begonnen, in den 80er und 90er Jahren wurde Europa zum islamistischen Missionsgebiet. Allein das Netzwerk der Muslimbruderschaft in Europa umfasst mehr als 200 Organisationen, 1.300 ihrer Anhänger leben in Deutschland.

Dass der Westen nur zwischen gewalttätig und gewaltfrei unterscheidet, ermöglicht den Legalisten, sich als gemäßigte, demokratiekompatible Alternative zu gerieren. Auch ihr Marsch durch die Institutionen war erfolgreich, sie wissen, wie man mit Politik und Medien spielt, sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen und in der Lage, über Vereine und Organisationen Einfluss auf Regierungen und Institutionen auszuüben. Politische Macht zu erlangen, ist für sie ein langfristiges Projekt, man setzt auf den Faktor Zeit. Auch hier soll nach ihrem Willen letztlich ein islamischer Staat entstehen: „Der Islam wird Europa erobern, ohne Schwert und ohne Kampf“, so der islamische Rechtsgelehrte und TV-Prediger Yusuf al-Qaradawi. Da sie über die europäischen Schuldkomplexe im Bilde sind, wissen sie Kritik mit dem prompten Vorwurf der „Islamophobie“ oder des „antimuslimischen Rassismus“ abzubügeln. Dabei teilen sie ideologische Grundlagen mit den terroristischen Brüdern; wie Heiko Heinisch schreibt: „Muslimbruderschaft und Milli Görüs sind keine pazifistischen Organisationen. Sie pflegen vielmehr ein taktisches Verhältnis zur Gewalt.“

Ein Beispiel für den Pakt mit den Terroristen ist die Ermordung Präsident Sadats 1981 in Kairo, aber auch der „Karikaturenstreit“ 2006, die Ermordung der Charlie-Hebdo-Redakteure 2015 oder die Enthauptung des französischen Lehrers Samuel Paty 2020: Die Legalisten markieren das Ziel, die Dschihadisten verüben die Tat. Folge: Angst, die unsere pluralistischen und demokratischen Gesellschaften unterminiert. Sehr richtig schrieb die Journalistin Nina Scholz nach dem Terroranschlag in Wien im November 2020: „Nach fast 20 Jahren islamistischen Terrors in Europa ist es an der Zeit, den Blick nicht mehr nur auf den Dschihadismus zu richten, sondern die dahinterstehende Ideologie eines politischen Islamverständnisses zu diskutieren und sie genauso ernst zu nehmen wie andere totalitäre Ideologien auch.“

 

Islamische Legalisten sind Teil des Problems, nicht der Lösung

Stattdessen wird der Dialog mit dem politischen Islam gesucht, werden die Legalisten als Teil der Lösung gesehen und nicht als Teil des Problems – auch in den USA, wo Präsident Bush persönlich behauptete, die Terroranschläge vom 11. September hätten „nichts mit dem Islam zu tun“. Wie Ayaan Hirsi Ali sagt: In diesem Kulturkampf hat der Westen keine Antwort auf den Islam im Krieg der Ideen, weil er in einem Dilemma gefangen ist: Wie geht man gegen den Islamismus vor und schont dabei die Muslime? Zudem steckt der Westen bis zur Halskrause in Schuldgefühlen, trägt schwer an der „Bürde des weißen Mannes“. Ayaan Hirsi Ali konstatiert: Die USA und Europa haben noch immer nicht die richtigen Lehren aus 9/11 gezogen.

Vordergründig mag es scheinen, als stritten die Legalisten lediglich für ihre legitimen religiösen Rechte, dabei dient der Kampf für das Kopftuch vor allem dazu, ihrer Agenda vor allem in Institutionen zur Sichtbarkeit zu verhelfen. Und der Staat kooperiert mit den Islamverbänden, während Kritiker wie Seyran Ates, Necla Kelek oder Hamed Abdel-Samad als Störenfriede gelten. De facto, schreibt etwa Necla Kelek in ihrer Philippika, leistet die Deutsche Islamkonferenz muslimischer Identitätspolitik Vorschub, die Regierung wolle mit den offiziellen muslimischen Verbänden im Gespräch bleiben, die aber keine Kompromisse und keine Diskussion über Probleme wie islamistische Gewalt akzeptieren und sich stattdessen über einen angeblichen Generalverdacht beklagen. Dies führe dazu, dass die Migrationsforschung „Islamophobie“ und „antimuslimischen Rassismus“ erschöpfend thematisiere, Missstände und Probleme wie mangelnder Spracherwerb, Gewalt in der Ehe, Zwangsverheiratung, Kinderehen und Genitalverstümmelung hingegen nicht. Appeasement-Strategie und Nichtbeharren auf westliche Werte haben, so Kelek, dazu geführt, dass der Einfluss islamischer Identitätspolitik heute stärker ist als vor 20 Jahren. Die eigene Identität wird auf dem Altar identitätspolitischer Ideologien geopfert.

Trotz einiger Skandale wird etwa die DITIB in den bekenntnisgebundenen islamischen Religionsunterricht eingebunden, Diyanet entsendet Imame in die Moscheen der DITIB, gibt Freitagspredigten vor und twittert auch schon mal antisemitische Parolen wie „Babymörder Israel“. Durch die Anerkennung der islamischen Verbände werden Abweichler unter den Muslimen an den Rand gedrängt und faktisch zu Geiseln der Ideologen, die als ihre „rechtmäßigen Vertreter“ anerkannt und gefördert werden. Rebecca Schönenbach weist darauf hin, dass es in Deutschland kaum Forschung über frauenverachtende religiöse Gewalt, Ehrenmorde etc. gibt und dass die Opfer oft alleingelassen werden; oft bliebe ihnen nur die Flucht ins Ausland. Indem man das Narrativ stützt, Diskriminierungserfahrungen begegne man am besten durch muslimische Gruppenidentität, werde faktisch Segregation befördert. Individualrechte von Frauen, die sich muslimischer Gruppenidentität verweigern, werden geringer geschätzt, Organisationen, die solchen Frauen helfen wollen, wird eine auch noch so schmale finanzielle Förderung verweigert, verfassungsmäßig fragwürdige Organisationen jedoch mit öffentlichen Geldern versorgt.

 

Terror kein „Missbrauch“ des Islams, sondern eine Interpretation

Der Begriff der Islamophobie, schreibt Ruud Koopmans, sei irreführend, es gibt sehr wohl Gründe, sich vor dem Islam zu fürchten, insbesondere für Frauen, Juden, Homosexuelle, oder Säkulare. Berechtigte Sorgen und Ängste seien keine irrationalen Formen des Hasses, und dass nach 9/11 eine Debatte über den Islam eingesetzt habe, sei kein Wunder:

„Sicherlich hat nach den Anschlägen vom 11. September 2011 und den nachfolgenden Gewalttaten wie der Ermordung Theo van Goghs, den Anschlägen von Madrid und London und hunderten anderen Terrorakten auf der ganzen Welt die Bedeutung des Islam in der öffentlichen Debatte erheblich zugenommen. Das ist jedoch kaum verwunderlich. Wenn Menschen Flugzeuge in Gebäude lenken, Busse, Züge und U-Bahnen in die Luft jagen, Lastwagen in Menschenmengen steuern, Massaker in Diskotheken, Synagogen und Konzertsälen verüben, dabei Gott anrufen und erklären, dass sie im Namen ihrer Religion handeln, liegt es nahe, dass Politiker und Medien auf diese Religion sowie auf die religiösen Überzeugungen und Quellen, von denen die Täter sagen, dass sie von ihnen inspiriert wurden, aufmerksam werden. Wenn „Ehebrecherinnen“, Homosexuelle und „Gotteslästerer“ von Scharia-Gerichten in Namen des Islam verurteilt werden und weltweit Bürgerkriege zwischen Gruppen wüten, die alle glauben, ein Monopol auf den wahren Islam zu haben, ist es nicht überraschend, dass dieser Glaube in schlechtes Licht gerät.“

Eigentlich gebe es in Europa aber viel Verständnis für muslimische Anliegen, wie etwa die Debatten über Moscheebau, Kopftuch und Halal-Schlachtung gezeigt hätten. Nichtsdestotrotz pflegen die Islamisten ihr Narrativ, dass sie den Glauben gegen Nichtmuslime und Verräter aus den eigenen Reihen verteidigen müssten.

Kristina Schröder stellt klar, dass der Islam ist, was die Muslime daraus machen. Terror sei kein „Missbrauch“ des Islams, sondern eine Interpretation. Als weitere problematische Punkte nennt sie die fehlende Aufklärung im Islam, die Kern des Problems sei; die Unvereinbarkeit der Scharia mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung; das mit Gewalt verknüpfte muslimische Verständnis von männlicher Ehre; das Tragen von Kopftuch und Burka als politische Aussage, weshalb es zu recht im Staatsdienst verboten sei. Und dass Integration auch Assimilation bedeutet, auch wenn Erdogan diese als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ anprangere. Schröder meint: besser keine Ansprechpartner für den Staat als die falschen, zu denen etwa DITIB und Milli Görüs gehören, nicht aber die sehr kooperativen Aleviten. Wir bräuchten einen aufgeklärten Islam, sonst komme es zum clash of civilizations.

 

Je religiöser, desto extremistischer

Mit dem Problem des Islamismus in der Schule beschäftigt sich Joachim Wagner. In sozialen Brennpunkten und Vierteln mit hohem muslimischen Bevölkerungsanteil sei der „kein Randphänomen, sondern ein echtes Problem“. Nach Umfragen wünscht sich ein Drittel der befragten Muslime eine Gesellschaft wie zu Mohammeds Zeiten, für knapp die Hälfte sind Gebote der Religion wichtiger als Gesetze des Landes; 37 Prozent halten den Islam für die „einzig wahre Religion“. Und auch bei uns seien die muslimischen Communities religiöser geworden, es würden Wertvorstellungen gepflegt, die sich von den toleranten, pluralistischen des Westens abwenden, eine Rückbesinnung auf Kultur und Tradition ihrer Heimatländer fände statt. Keine gute Entwicklung, denn die Faustregel laute: je religiöser, desto extremistischer.

Es überrascht nicht, dass die Reaktionen muslimischer Schüler auf islamistischen Terrorismus teils besorgniserregend ausfallen, Themen wie den Holocaust und den Nahostkonflikt mit ihnen nicht vernünftig zu besprechen seien und die Lehrer kapitulierten. Auf Schulhöfen seien Beleidigungen wie „Du Kurde!“, „Du Schiit!“, „Du Schweinefleischfresser / Kartoffel!“ gang und gäbe. Islamisten versuchen Einfluss auf Lehrinhalte und Schulbetrieb auszuüben, etwa bei Themen wie Schwimmunterricht, Sexualkunde, Klassenfahrten, Fasten, Zwangsheiraten und Kopftuch; dieser gefährde den Schulfrieden und verhindere Integration. Das Gefahren- und Konfliktpotenzial des Islamismus, der auch zunehme, weil ein Großteil der Schüler nebenbei Koranschulen besuche, sei weiter virulent, mehr Mut im Umgang mit den Schattenseiten des Islam vonnöten. Wagner hält den bekenntnisgebundenen Religionsunterricht für keine gute Idee.

Die Gefahr des legalistischen Islamismus wird weiter unterschätzt, stellen die Herausgeberinnen Sandra Kostner und Elham Manea fest; stattdessen werde er mit Projektgeldern gepampert. Ihre Ratschläge: Aufwertung legalistischen Islamismus vermeiden, keine Kooperation, auch und erst recht nicht gegen Dschihadisten, Finanzierung unterbinden, vor Gericht aufpassen, dass ein Recht auf Religionsfreiheit nicht andere Rechte aushebelt, kritische Auseinandersetzung mit problematischen Glaubensinhalten nicht scheuen, dabei aber nicht den Fehler machen, den Islam per se angreifen. Religiöse Vereine müssten schneller verboten, extremistische Moscheen früher geschlossen werden – nicht wie die berüchtigte al-Quds-Moschee in Hamburg erst viele Jahre nach 9/11. Und: Ein theologisches Gegennarrativ sei chancenlos, so lange Imame aus dem Ausland kommen und Progressive keinen Einfluss erhalten.

Noch verhindern Kulturrelativismus und blinde Fremdenliebe eine echte Auseinandersetzung mit dem politischen Islam, man scheut die Kritik schon aus Angst vor dem „Beifall von der falschen Seite“. Hinzu kommt: Die Angst vor und die Beschwichtigung des legalistischen Islam führen zu einer Cancel Culture, die es extrem schwierig macht, das Problem des Islamismus auch nur noch zu erwähnen. Dieser aber versteht nun einmal den Islam als konstitutive und primäre Legitimationsgrundlage für eine staatliche Ordnung, die mit Demokratie, Individualität, Menschenrechten, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und Volkssouveränität nicht in Einklang zu bringen ist. Eine neue, mutige Debattenkultur ist dringend notwendig.

 

Sandra Kostner, Elham Manea (Hg.): Lehren aus 9/11. Zum Umgang des Westens mit Islamismus, Ibidem, 22,00 €

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